Wenn ein Unternehmen eine Ware in das aktive Veredlungsverfahren in die Union ein- und nach Abschluss wieder ausführt, liegt darin keine Verwendung der Ware.

Für eine Verwendung brauche es mehr als die „bloße“ Veredelung. Daher kann die Zollschuld nach Artikel 124 Abs. 1 Buchstabe k) Unionszollkodex (UZK) erlöschen, obwohl es zu Verfahrensfehlern auf Seiten des Einführers kam, entschied der EuGH in einem Verfahren am 08. Oktober 2020 (C‑476/19).

Sie haben Fragen zum Veredelungsverfahren oder zu Zollschulden?

Die Anwälte von O&W aus dem Zollrecht beraten Sie und Ihr Unternehmen gerne und unterstützen Sie bei Streitigkeiten mit dem Zoll! Sie erreichen unsere Anwälte telefonisch unter +49 40 369615-0.

Verspätete Abrechnung nach Zollverfahren

In dem Verfahren ging es um ein Vorabentscheidungsersuchen des Oberverwaltungsgerichtes Göteborg in Schweden an den EuGH. Folgender Sachverhalt lag dem Ganzen zugrunde:

Im Jahr 2017 führte ein Unternehmen unter der Verwendung einer zollrechtlichen Bewilligung der schwedischen Zollverwaltung Waren in die Zollunion ein. Das Unternehmen reparierte und kalibrierte in der EU verschiedene Instrumente und führte die Ware im Anschluss wieder aus.

Allerdings versäumte das Unternehmen, die Abrechnung fristgemäß bei der zuständigen Zollverwaltung einzureichen.

Abrechnung bei der aktiven Veredelung?

Durch die Abrechnung stellt der Zoll nach Abschluss der aktiven Veredelung fest, ob das Unternehmen die Waren in ein anschließendes Zollverfahren übergeführt, zerstört oder aus dem Zollgebiet der Union verbracht hat.

Außerdem ermittelt der Zoll mithilfe der Abrechnung, ob und ggf. in welcher Höhe eine Zollschuld entstanden ist.

Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Einführer Waren nicht wieder ausführt, sondern in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt oder aber wenn Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung des Verfahrens (z.B. in Form einer Pflichtverletzung) festgestellt werden.

Hier nahm die Zollverwaltung die verspätete Abrechnung zum Anlass, einen Einfuhrabgabenbescheid zu erlassen.

Denn nach Ansicht der Zollbehörde war durch die nicht fristgemäße Vorlage der Abrechnung eine Zollschuld nach Art. 79 des Zollkodex entstanden und auch nicht wieder erloschen.

Dazu verwies die Zollverwaltung darauf, dass Nicht-Unionswaren auch im Rahmen der aktiven Veredelung verwendet werden dürften. Im Hinblick auf diese Bestimmung bedeute der Begriff „verwendete Waren“, dass die Waren „lediglich“ in irgendeiner Weise veredelt werden müssten.

Das Unternehmen bestritt insoweit nicht die Entstehung der Zollschuld.

Allerdings hätten sich die Waren zum Zeitpunkt der Entstehung der Zollschuld aufgrund ihrer Wiederausfuhr bereits nicht mehr im Zollgebiet der Union befunden. Insofern läge keine Verwendung der Ware vor – weder zum Zeitpunkt der Entstehung der Zollschuld noch danach.

Die Reparaturvorgänge vor der Entstehung der Zollschuld seinen insoweit eine Verwendung im Rahmen der von der Zollverwaltung bewilligten Veredelung.

Streit um Begriff „Verwendung“

Im Rechtsmittelverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gaben die schwedischen Richter zu bedenken, dass der Begriff der Verwendung in zweierlei Hinsicht verstanden werden könne:

  1. Die Waren werden gemäß ihrer Bestimmung verwendet, also in einer Art und Weise, die über die „bloßen“ bewilligten Veredelungsvorgänge hinausgeht, oder
  2. Die Waren werden in irgendeiner Weise verwendet, wozu auch bereits ihre Veredelung (also auch eine reine Be- oder Verarbeitung) gehört. Insbesondere dann, wenn man auf die gewöhnliche Bedeutung des Begriffs „verwenden“ im herkömmlichen Sprachgebrauch abstellt.

Unter diesen Umständen rief das schwedische Gericht dem EuGH an, um den Begriff der „Verwendung“ näher zu bestimmen.

Zudem fragte sich das Gericht, ob der Zeitpunkt der Verwendung (vor oder nach Entstehung der Zollschuld) Auswirkungen auf den Begriff der Verwendung hat.

Aktive Veredelung als Zollverfahren

Ein paar Worte zur Veredelung als Zollverfahren:

Das EU-Zollrecht sieht explizit Regelungen dafür vor, dass Nicht-Unionswaren im Zollgebiet der Union sogenannten Veredelungsvorgängen unterzogen werden, ohne dabei Einfuhrabgaben zahlen zu müssen.

Dieses Institut nennt sich im Zolljargon aktive Veredelung.  

Was ist die Veredelung im Zollrecht?

Als „Veredelungsvorgänge“ gelten

  • die Bearbeitung von Waren einschließlich der Montage, der Zusammensetzung und des Anbringens an andere Waren,
  • die Verarbeitung von Waren,
  • die Ausbesserung von Waren, einschließlich ihrer Instandsetzung und Regulierung.

Aktive & Passive Veredelung im Zollrecht?

Das Veredelungsverfahren gehört zu den sogenannten Nichterhebungsverfahren. Zu unterscheiden sind die aktive Veredlung und die passive Veredelung.

  • Bei der aktiven Veredelung werden Nichtgemeinschaftswaren unverzollt (alternativ auch im Wege der Zollrückvergütung) in die EU eingeführt, hier be- oder verarbeitet oder ausgebessert (veredelt), und anschließend wieder ausgeführt.
  • Bei der passiven Veredelung werden Waren aus der Europäischen Union (Gemeinschaftswaren) aus der Europäischen Union in ein Drittland vorübergehend ausgeführt, dort be- oder verarbeitet oder ausgebessert (veredelt) und anschließend wieder eingeführt.

Die aktive Veredelung verzichtet auf die Erhebung von Einfuhrabgaben, um Arbeitsplätze in der EU zu erhalten und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im Ausland zu fördern.

Die passive Veredelung dagegen trägt zur internationalen Arbeitsteilung bei und beansprucht zollgünstig ausländisches Know-how.

Wann entsteht eine Zollschuld bei aktiver Veredelung?

Der EuGH äußerte sich in diesem Zusammenhang zunächst zur Entstehung einer Zollschuld. Insbesondere im Falle einer Pflichtverletzung im Rahmen von Veredelungsverfahren.

So würden mit der Privilegierung durch das Institut der aktiven Veredelung auch bestimmte Pflichten für die Einführer einhergehen.

Die Unternehmen, die von der Befreiung der Einfuhrabgaben profitierten, müssten im Gegenzug auch die geltenden Verfahrensvorschriften strikt einhalten.

Wer das nicht tue, müsse mit den strikten Konsequenzen rechnen, so der EuGH sinngemäß.

Hinter dieser strengen Handhabe stünde die offenkundige Gefahr für die ordnungsgemäße Erhebung der Zölle.

Im Ergebnis entsteht daher auch eine Einfuhrzollschuld, wenn das Unternehmen eine Voraussetzung für die Überführung von Nicht-Unionswaren in ein Zollverfahren nicht erfüllt. Zum Beispiel, weil es die Abrechnung nicht rechtzeitig erstellt.

Im vorliegenden Fall ging es aber nicht um die Frage, ob die Zollschuld entstanden ist – dies war unstrittig der Fall.

Wann erlischt eine Zollschuld bei aktiver Veredelung?

Die Parteien stritten vielmehr darum, ob die Zollschuld auch wieder erloschen war.

Wann aber kann eine Zollschuld erlöschen?

Voraussetzung dafür ist u.a., dass die Waren nicht „verwendet“ oder „verbraucht“, sondern aus der EU wieder ausgeführt werden (vgl. Art. 124 Abs. 1 Buchstabe k) des Zollkodex).

Hinter dieser Regelung steht der Wirtschaftszollgedanke.

Was besagt der Wirtschaftszollgedanke im Zollrecht?

Es fällt kein Zoll an, wenn die Ware keinen Eingang in den EU-Wirtschaftskreislauf nimmt.

Dazu muss man sich kurz vergegenwärtigen, warum die EU überhaupt Zölle erhebt.

Zölle entstehen, weil die Europäische Zollunion als Einfuhrstaat ungerechtfertigte Vorteile der eingeführten Ware abschöpfen möchte.

Solche Vorteile entstehen beispielsweise, weil Lohn- und Fertigungskosten außerhalb der Zollunion in sogenannten Drittländern wie z.B. China niedriger sind.

Das wirkt sich natürlich auch auf den Preis der Einfuhrware aus: Dieser fällt dann im Regelfall billiger aus als bei einer Ware, die ein Unternehmen innerhalb der Zollunion produziert.

Der Zoll soll solche Wettbewerbsvorteile ausgleichen und Unternehmen auch zur Produktion im EU-Binnenland anregen.

Daher fallen auch nur auf solche Ware Zölle an, die in den heimischen (europäischen) Markt Eingang finden und durch ausländische Produktion günstigere Herstellungsbedingungen haben gegenüber Unionswaren.

Aktive Veredelung ist keine „Verwendung“

Zurück zum Fall: Hier bemängelt der Zoll, dass das Unternehmen bestimmte Verfahrensvorschriften im Rahmen der aktiven Veredelung nicht ordnungsgemäß eingehalten hat.

Kann der Zoll dann zu Recht von dem (Weiter-)Bestehen der Zollschuld ausgehen?

Zunächst wies der EuGH darauf hin, dass der Zollkodex keine eigene Definition für den Begriff „verwendete Waren“ enthält. Außerdem erlaube der Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen des Zollkodex in den Mitgliedstaaten auch keine eindeutige Auslegung.

Der EuGH bezog sich dann auf eine schriftliche Erklärung der tschechischen Regierung:

Hiernach soll die Zollschuld auch erlöschen können, wenn ein Unternehmen bestimmte Verpflichtungen aus dem Zollkodex nicht beachtet hat. Sofern alle weiteren Voraussetzungen wie die Wiederausfuhr nachweislich vorliegen.

Der Begriff „verwendete Waren“ sei also so zu verstehen, dass er nicht jede Verwendung erfasst, sondern nur eine Verwendung, die als solche eine Zollschuld zur Folge hat.

Für das Verfahren der aktiven Veredelung bedeute dies:

Als Verwendung kann notwendigerweise nur eine solche Verwendung gelten, die über die von den Zollbehörden bewilligten Veredelungsvorgänge hinausgeht.

Veredelung ist keine Verwendung!

Eine Verwendung von Waren verlangt eine Verwendung, die über reine Veredelungsvorgänge hinausgeht, die von den Zollbehörden im Rahmen des Verfahrens der aktiven Veredelung bewilligt wurden.

Die von der Zollbehörde bewilligten Veredelungsvorgänge stellen keine Verwendung dar.

Wird eine Ware im Rahmen der aktiven Veredelung be- oder verarbeitet, kann die Zollschuld trotz Verfahrensfehlern also wieder erlöschen.

Wirtschaftszollgedanke: Wer veredelt, verwendet nicht

Dies erscheint auch die einzige sinnvolle Lösung, wenn man sich den umgekehrten Fall vorstellt:

Wären reine Veredelungsvorgängen bereits eine Verwendung, könnte eine nach den Regelungen des Art. 79 des Zollkodex entstandene Zollschuld nie im Rahmen der aktiven Veredelung gemäß Art. 124 Abs. 1 Buchst. k des Zollkodex erlöschen.

Die Konsequenz wäre dann, dass das Unternehmen doch Einfuhrabgaben zahlen müsste.

Und dieses Ergebnis stünde im Widerspruch zum eigentlichen Sinn und Zweck der Veredelung, urteilt der Gerichtshof.

Denn wenn der Einführer gar nicht beabsichtigt, die Ware in der Union zu verkaufen, entsteht de facto auch keine Wettbewerbssituation zwischen dem Einführer und den EU-Unternehmen des betroffenen Wirtschaftszweiges.

Das gilt insbesondere für den vorliegenden Fall der aktiven Veredelung: Hier verlässt die Ware im Regelfall nach der Be- oder Verarbeitung bzw. Ausbesserung wieder die Europäische Zollunion.

Passieren während des Veredelungsverfahrens Fehler, wirkt sich die Verfehlung im Regelfall auch nicht auf die relevante Marktkonkurrenz und Wirtschaftssituation innerhalb der EU aus.

Auf die Frage nach dem Zeitpunkt der Verwendung antwortete der EuGH: Der Zeitpunkt, zu dem die Verwendung der Waren erfolgt, habe keinen Einfluss auf den Begriff der Verwendung.

Allerdings sei Folgendes festzustellen:

Wenn die Zollschuld aufgrund der verspäteten Vorlage der Abrechnung entstehe, nachdem die Waren bereits wieder ausgeführt worden sind, sei eine Verwendung nach dem Entstehen der Zollschuld ausgeschlossen.

Unternehmen: Auswirkungen auf Zollverfahren

Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie der EuGH den Art. 124 UZK in Zukunft in anderen Nichterhebungsverfahren, wie z.B. bei der vorübergehenden Verwendung auslegen wird.

Unternehmen, die das Veredelungsverfahren nutzen, sollten sich von einem erfahrenen Anwalt aus dem Zollrecht im Vorfeld beraten lassen.

Denn die Bewilligung einer aktiven Veredelung verlangt einige Voraussetzungen vom Unternehmen, die mit der richtigen Antragstellung gut bewältigt werden können.

Gerade weil der Zoll bei der Veredelung auf die Erhebung der Einfuhrabgaben verzichtet, legen die Zollbehörden besonderen Wert auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften und kontrollieren lieber einmal mehr.

Sollte es zu Verstößen kommen, erheben die Behörden nicht nur die fälligen Einfuhrabgaben, sondern verhängen auch Bußgelder und ermitteln gegebenenfalls wegen einer Zollstraftat.

Um solche Unannehmlichkeiten zu vermeiden, lassen Sie sich gerne von den Anwälten aus dem Zollrecht bei O&W beraten. Sie haben die notwendige Expertise im Zollrecht und können Sie und Ihr Unternehmen aufgrund Ihrer jahrelangen Erfahrung im Umgang mit den Zollbehörden zielsicher und fachgerecht unterstützen.

Unsere Anwälte beraten zu Zollverfahren wie der Veredelung und vertreten Sie bei Streitigkeiten mit dem Zoll!

Für Unternehmen: 15 Minuten kostenlose Erstberatung+49 40 369615-0oder Telefontermin sichern

Dieser Artikel wurde am 23. August 2021 erstellt. Er wurde am 03. Oktober 2023 aktualisiert. Die fachliche Zweitprüfung hat Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner durchgeführt.

Ihr Ansprechpartner

  • Anton Schmoll

    Rechtsanwalt
    ABC-Str. 21
    20354 Hamburg
  • Rechtsanwalt Anton Schmoll berät im Zollrecht, zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Verbrauchssteuer. Er ist seit 2013 für die Kanzlei tätig und hat seitdem in zahlreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und der Europäischen Kommission das Zollrecht maßgeblich weiterentwickelt.