Das Hessische Finanzgericht (FG) hat sich in seinem Eilbeschluss 7 V 2256/17 vom 26.06.2018 zum Ort der Einfuhr und zur Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer im Fall des ungeklärten Verbleibs von in das externe Versandverfahren überführten Waren geäußert.

Dabei hat das FG sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die unterlassene Gestellung von Waren innerhalb der Gestellungsfrist eine Zollschuld nach Art. 203 oder Art. 204 Zollkodex (ZK) entstehen lässt und nach welchen Vorschriften sich eigentlich der Ort der Einfuhr von Waren für die Einfuhrumsatzsteuer richtet. So viel darf vorweggenommen werden: in dieser Hinsicht hat das FG sich der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht angeschlossen und hält den Weg des BFH für unzulässig.

Es handelt sich hierbei um ein Eilverfahren, dem noch ein Hauptsacheverfahren folgt. Die rechtlichen Ausführungen des FG sind für Unternehmer, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (z.B. Spediteure und Zollagenten) bereits jetzt sehr bedeutend.

Ungeklärter Warenverbleib – wonach entsteht die Zollschuld?

Konkret hatte das Hessische FG darüber zu entscheiden, ob der ungeklärte Verbleib von in das externe Versandverfahren überführten Waren automatisch zur Entstehung der EUSt führt und wenn ja nach welchen Vorschriften sich die Entstehung der EUSt dann konkret richtet.

Das Besondere an dem im Beschluss zugrunde liegenden Fall war, dass von der Zollverwaltung trotz ihrer Feststellungslast und trotz eingehender Nachforschungen nicht mehr ermittelt werden konnte wo genau die Waren eigentlich in den Wirtschaftskreislauf der Europäischen Union gelangt sind und worin dann die Entziehungshandlung läge. Dennoch erließ der deutsche Zoll gegen den Spediteur Jahre nach dem Transport einen Einfuhrabgabenbescheid.

Im konkreten Fall ging es dabei darum, dass ein zugelassener Versender Waren zum Versandverfahren anmeldete und durch einen Spediteur transportieren lassen wollte. Dabei war als Empfänger der Waren ein Unternehmen in einer Stadt in Russland angegeben, als Bestimmungsland hingegen wurde Tschechien ausgewiesen. Die Nämlichkeit der Waren war durch einen Raumverschluss gesichert worden. Das externe gemeinschaftliche Versandverfahren war bis zum 16. April 2008 nicht beendet worden, der Verbleib der Waren konnte auch im Weiteren nicht mehr geklärt werden. Gegenüber dem Versender der Waren wurde ein Einfuhrabgabenbescheid erlassen, der Versender legte hiergegen Einspruch ein.

Während des Einspruchsverfahrens allerdings wurde der Spediteur als Zeuge zu dem Vorgang vernommen. Er äußerte sich zum Versandvorgang dahingehend, dass er seinen Auflieger mit der Ware bei einem Zollamt in Tschechien abgestellt habe und die Waren samt Unterlagen an eine tschechische Spedition weitergegeben hätte.

Senat zweifelt an der Anwendbarkeit des Art. 203 Abs. 1 ZK

Der Senat des FG betont, dass sich gerade nicht feststellen ließe durch welche Handlung oder Unterlassung die Entziehung nun tatsächlich stattgefunden habe. Die Nichtgestellung innerhalb der Wiedergestellungsfrist würde jedenfalls zu keiner solchen Entziehung führen und die Fiktion eines Entziehens von Nichtgemeinschaftswaren aus der zollamtlichen Überwachung würde es innerhalb des Zollschuldrechts nicht geben. Für das Hessische FG scheidet demnach die Zollschuldentstehung über Art. 203 Abs. 1 ZK aus.

Vielmehr erkennt der Senat aber an, dass die Nichtgestellung an der Bestimmungsstelle innerhalb der festgelegten Frist eine Zollschuld wegen Pflichtverletzung nach Art. 204 Abs.1 Buchstabe a ZK entstehen lässt. Die Zölle sind demnach zu recht durch die deutschen Zollbehörden erhoben worden, auch wenn das FG dies anders als der Zoll begründet.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der EUSt-Festsetzung

Zunächst zweifelt das FG daran, dass die Einfuhrumsatzsteuer entstanden ist. Denn der EuGH hat bereits entschieden, dass die Einfuhrumsatzsteuer als Verbrauchsteuer nur dann entsteht, wenn die Waren im Inland verbraucht werden. Dies ist der Fall, wenn die Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union eingehen.

Anschließend hatte das Hessische FG sich mit der Frage nach der Zuständigkeit für die Erhebung der EUSt zu beschäftigen. Während der BFH im Einfuhrumsatzsteuerrecht den Zollkodex über den Ort der Zollschulderhebung entsprechend anwendet, hält das Hessische FG dies für unzulässig und stellt auf die Regelungen der Art. 60, 61 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ab. Im Zollrecht ist festgelegt, dass beim Versandverfahren der Abgangsmitgliedstaat zuständig ist, wenn der Ort der Zollschuldentstehung nicht ermittelt werden kann.

Das Umsatzsteuergesetzt sieht die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften für die EUSt vor. Ob die Anwendung der Vorschriften sinngemäß ist bestimmt sich wiederum nach den Regeln der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL). Nur wenn die Anwendung der Zollvorschriften auf die EUSt zu Ergebnissen führt, die im Einklang mit der MwStSystRL stehen kann eine Anwendung der Zollvorschriften sinngemäß sein.

Die MwStSystRL setzt für die Entstehung der EUSt allerdings eine „Einfuhr“ der Waren voraus, wobei die Einfuhr als Verbringung eines Gegenstandes, der sich nicht im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befindet, in die Gemeinschaft gilt. Es soll dann die EUSt desjenigen Mitgliedstaates entstehen, in dem der Gegenstand in die Gemeinschaft verbracht worden ist. Zudem setzt die Einfuhr im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne zumindest die Gefahr des Eingangs der Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union voraus. Dies setzt der vom BFH angewandte Zollkodex gerade nicht voraus.

Im vorliegenden Fall konnte nicht ermittelt werden, wo das Versandgut geblieben ist. Der Spediteur gab an, die Waren wären in Tschechien bereits auf einen russischen LKW verladen worden, so dass vieles dafür spricht, dass die Waren tatsächlich auch nach Russland weiterbefördert wurden. Damit hätte dann gegebenenfalls aber gar nicht die Gefahr bestanden, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union eingehen.

Da hier die Voraussetzung „Eingang in den Wirtschaftskreislauf“ nicht nachgewiesen werden konnte und der Zollkodex diese Voraussetzung ignoriere, hält das FG ihn für die EUSt für nicht anwendbar.

Das Gericht ordnete daher die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der EUSt an.

Bedeutung für andere Verfahren

Die Entscheidung betont einmal mehr, dass die EUSt einen Verbrauch voraussetzt und nicht automatisch auf den Zoll folgt. Mit dieser Entscheidung lässt sich in vielen Fällen gegen die Erhebung der EUSt argumentieren, wenn die Gefahr eines Verbrauchs der Waren in Deutschland nicht nachgewiesen werden kann.

Ob andere Gerichte der Ansicht des Hessischen FG folgen werden, bleibt offen. Gute Gründe hierfür gibt es jedenfalls.

Unternehmer, die zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt sind, wie etwa Spediteure, Frachtführer und Zollagenten sollten daher steht prüfen lassen, ob die sich gegen eine EUSt-Festsetzung wehren können.

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Dieser Artikel wurde am 19. Oktober 2018 erstellt. Die fachliche Zweitprüfung hat Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner durchgeführt.

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  • Anton Schmoll

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  • Rechtsanwalt Anton Schmoll berät im Zollrecht, zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Verbrauchssteuer. Er ist seit 2013 für die Kanzlei tätig und hat seitdem in zahlreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und der Europäischen Kommission das Zollrecht maßgeblich weiterentwickelt.