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- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand & Rechtsfolgen: Was ‚Entziehen‘ wirklich bedeutet und was dann passiert
- Das Geschäftsführer-Risiko: Die persönliche Haftung für Zollverstöße
- Prävention & Compliance: Ihr Schutzschild gegen Strafen und Haftung
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Fazit: Handeln Sie, bevor es teuer wird
Ein unbedachter Klick, eine fehlende Unterlage – und plötzlich haften Sie als Geschäftsführer mit Ihrem Privatvermögen. Das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein reales, existenzbedrohendes Risiko. Das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung bedeutet, eine Nicht-Unionsware der zollamtlichen Kontrolle zu entziehen, was automatisch eine Zollschuld und oft empfindliche Strafen nach sich zieht. Viele Geschäftsführer und Zollbeauftragte in KMU sind sich der Tragweite alltäglicher Fehler nicht bewusst und wissen nicht, wie sie sich und das Unternehmen schützen können. Dieser Leitfaden, verfasst von erfahrenen Anwälten für Zollrecht, übersetzt das komplexe Recht in die Praxis. Wir zeigen Ihnen, wo die Gefahren lauern, wie Sie die persönliche Haftung vermeiden und ein effektives Zoll-Compliance-System aufbauen.
Tatbestand & Rechtsfolgen: Was ‚Entziehen‘ wirklich bedeutet und was dann passiert
Der Tatbestand nach Art. 79 UZK: Mehr als nur Schmuggel
Der Begriff „Entziehen“ ist juristisch präzise definiert und geht weit über das landläufige Verständnis von Schmuggel hinaus. Es beschreibt jede Handlung oder Unterlassung, die zur Folge hat, dass die Zollbehörden am Zugriff auf eine unter zollamtlicher Überwachung stehende Ware gehindert werden.
Entscheidend ist hierbei: Die Zollschuld entsteht laut Unionszollkodex (Art. 79 UZK) im exakten Augenblick des Entziehens – unabhängig davon, ob dies mit Absicht oder aus Versehen geschah.
Praxisbeispiele für unbeabsichtigtes Entziehen gibt es viele:
- Ein Mitarbeiter fährt die bereits auf dem Hof stehende Ware zur Einlagerung, bevor die Gestellung beim Zoll abgeschlossen und die Freigabe erteilt wurde.
- Ein Lagerist entlädt einen LKW, ohne dass die Zollbehörden die Ware formell überlassen haben.
- Im Eifer des Gefechts wird eine falsche Zolltarifnummer verwendet, die zu einer niedrigeren Abgabe führt, wodurch dem Zoll die korrekte Prüfung verwehrt wird.
Sobald eine Nicht-Unionsware in das Zollgebiet der EU gelangt, unterliegt sie der zollamtlichen Überwachung. Dieser Zustand endet erst, wenn ihr Status (z.B. durch Überlassung zum freien Verkehr) ordnungsgemäß geändert oder sie wieder ausgeführt wird. Jede Handlung davor, die den Zoll am Zugriff hindert, ist ein Entziehen.
Die Konsequenzen: Von der Zollschuld bis zum Strafverfahren
Die Folgen eines solchen Fehlers sind gravierend und vielfältig. Die erste, automatische Konsequenz ist die Nacherhebung der Einfuhrabgaben, also Zoll und Einfuhrumsatzsteuer. Doch dabei bleibt es selten.
Man unterscheidet zwischen einer Ordnungswidrigkeit und einer Straftat. Handelten Sie oder Ihre Mitarbeiter fahrlässig, wird der Vorgang meist als Ordnungswidrigkeit geahndet, was zu empfindlichen Bußgeldern führt. Viel bedrohlicher wird es jedoch, wenn Vorsatz im Spiel ist. Dann steht der Vorwurf der Zollhinterziehung im Raum, der eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) nach sich zieht.
Wichtig zu wissen ist hierbei, dass auch bedingter Vorsatz ausreicht. Wer also Risiken kennt und sie „billigend in Kauf nimmt“, handelt bereits vorsätzlich.
Darüber hinaus drohen weitere Konsequenzen, die das operative Geschäft empfindlich stören können:
- Verlust von zollrechtlichen Vereinfachungen (z.B. der Status als Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter, AEO)
- Erheblicher Imageschaden bei Kunden und Partnern
- Intensive und argwöhnische Folgeprüfungen durch das Hauptzollamt
Das Geschäftsführer-Risiko: Die persönliche Haftung für Zollverstöße
Die vielleicht größte, aber am häufigsten übersehene Gefahr, lauert auf der Führungsebene. Als Geschäftsführer sind Sie nicht automatisch aus dem Schneider, nur weil ein Mitarbeiter den Fehler begangen hat.
Organisationsverschulden: Wie § 130 OWiG die Tür zur Haftung öffnet
Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ist hier eindeutig. Nach § 130 OWiG haften Sie als Inhaber oder Leitung eines Unternehmens persönlich, wenn eine Pflichtverletzung (wie ein Zollverstoß) begangen wird, weil Sie nicht die „nötigen Aufsichtsmaßnahmen“ getroffen haben. Unwissenheit schützt hier nicht, sondern begründet das Verschulden.
„Nötige Aufsichtsmaßnahmen“ umfassen insbesondere die Erstellung klarer und schriftlicher Anweisungen, die ausreichende Kontrolle etablierter Zollprozesse sowie die sorgfältige Auswahl, Anleitung und Schulung des für Zoll zuständigen Personals.
Tritt ein Verstoß auf, weil es an einer dieser Maßnahmen mangelt, kann direkt gegen Sie als Geschäftsführer ein Bußgeld verhängt werden, das im Extremfall in die Millionen gehen kann.
Der Griff ins Privatvermögen: Die Steuerhaftung nach § 69 AO
Die steuerrechtliche Keule ist § 69 der Abgabenordnung (AO). Dieser Paragraph besagt, dass Geschäftsführer persönlich mit ihrem Privatvermögen für die Steuerschulden des Unternehmens haften – wozu auch Zölle und die Einfuhrumsatzsteuer zählen –, wenn diese Schulden durch eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung entstanden sind.
Das fatale Zusammenspiel: Das Fehlen einer funktionierenden Zoll-Organisation, also das Organisationsverschulden nach § 130 OWiG, wird von den Behörden regelmäßig als die „grobe Fahrlässigkeit“ gewertet, die die persönliche Haftung nach § 69 AO auslöst.
Die Konsequenz ist brutal: Das Hauptzollamt kann die Zollschulden Ihres Unternehmens direkt von Ihrem privaten Bankkonto pfänden.
Als Anwälte mit über 38 Jahren Erfahrung in der Beratung zur Lieferkette sehen wir immer wieder, dass dieses Risiko von Geschäftsführern massiv unterschätzt wird. Dr. Tristan Wegner, Partner bei O&W und Fachanwalt mit 13 Jahren Erfahrung, betont: „Die Vorstellung, dass Unternehmensschulden strikt vom Privatvermögen getrennt sind, ist im Zollrecht ein gefährlicher Trugschluss. Ohne eine saubere Zoll-Compliance wird der Geschäftsführer zur letzten Ausfallbürgschaft für das Finanzamt.“
Die Vorstellung, dass Unternehmensschulden strikt vom Privatvermögen getrennt sind, ist im Zollrecht ein gefährlicher Trugschluss.
Prävention & Compliance: Ihr Schutzschild gegen Strafen und Haftung
Das Risiko ist real, aber es ist beherrschbar. Der Schlüssel liegt im proaktiven Aufbau eines internen Schutzwalls, der sogenannten Zoll-Compliance.
Aufbau eines Internen Kontrollsystems (IKS) für Zoll
Ein funktionierendes Internes Kontrollsystem (IKS) ist Ihr bester Befreiungsbeweis. Es dient dazu, den Vorwurf des Organisationsverschuldens und damit die persönliche Haftung von vornherein zu entkräften. Die Errichtung eines solchen Systems fußt auf vier Säulen:
- Schritt 1: Risikoanalyse: Identifizieren Sie die größten Zoll-Risiken in Ihren spezifischen Lieferketten. Wo passieren die meisten Fehler? Bei der Tarifierung von Waren? Bei der Wertanmeldung? Bei der Kommunikation mit dem Dienstleister?
- Schritt 2: Klare Zuständigkeiten: Definieren und dokumentieren Sie unmissverständlich, wer im Unternehmen für welche Zollaufgabe verantwortlich ist. Dies schließt auch klare Vertretungsregelungen ein.
- Schritt 3: Arbeits- & Organisationsanweisungen (AOA): Erstellen Sie verbindliche, schriftliche Anleitungen für alle zollrelevanten Prozesse. Ein Beispiel wäre eine AOA mit dem Titel: „So wird eine Zolltarifnummer im Unternehmen ermittelt, geprüft und dokumentiert“.
- Schritt 4: Schulung & Kontrolle: Schulen Sie Ihre Mitarbeiter regelmäßig in diesen Prozessen und führen Sie stichprobenartige Kontrollen durch, um sicherzustellen, dass die Anweisungen nicht nur existieren, sondern auch gelebt werden.
Der ‚Erste-Hilfe-Plan‘: Was tun, wenn der Zoll ermittelt?
Wenn der Zoll ermittelt: 1. Weisen Sie alle Mitarbeiter an zu schweigen. 2. Sichern Sie alle Dokumente, aber geben Sie nichts ohne anwaltliche Prüfung heraus. 3. Kontaktieren Sie umgehend einen Anwalt für Zollstrafrecht.
Eine strafbefreiende Selbstanzeige kann in manchen Fällen eine Option sein, um Schlimmeres zu verhindern. Dieser Schritt birgt jedoch Risiken und sollte niemals ohne die eingehende Beratung durch einen erfahrenen Anwalt erfolgen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
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Was genau bedeutet 'Entziehen der zollamtlichen Überwachung'?
Es bedeutet, eine Nicht-Unionsware, die sich unter zollamtlicher Aufsicht befindet, der Kontrolle durch die Zollbehörden zu entziehen, sei es absichtlich oder unabsichtlich.
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Welche Strafe droht bei der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung?
Die Folgen reichen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben über Bußgelder wegen einer Ordnungswidrigkeit bis hin zu Freiheits- oder Geldstrafen bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Zollhinterziehung.
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Haftet ein Geschäftsführer auch für Fehler seiner Mitarbeiter?
Ja, Geschäftsführer können persönlich haften, wenn sie durch mangelnde Organisation, Kontrolle oder Anweisung die Fehler der Mitarbeiter erst ermöglicht haben (sog. Organisationsverschulden).
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Was ist der wichtigste Schritt zur Vermeidung von Zollverstößen?
Der wichtigste Schritt ist der Aufbau eines internen Kontrollsystems (Zoll-Compliance) mit klaren Anweisungen, Zuständigkeiten und Kontrollen für alle zollrelevanten Abläufe im Unternehmen.
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Wann sollte man einen Zollanwalt einschalten?
Sie sollten einen Zollanwalt idealerweise präventiv zur Prüfung Ihrer Compliance einschalten, spätestens aber sofort, wenn Sie eine Prüfungsanordnung oder ein Ermittlungsschreiben vom Hauptzollamt erhalten.
Fazit: Handeln Sie, bevor es teuer wird
Das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung ist ein ernstes Risiko, das über Unternehmensstrafen direkt zur persönlichen, finanziellen Haftung des Geschäftsführers führen kann. Wie wir gezeigt haben, sind Unwissenheit und organisatorische Mängel die häufigsten und gefährlichsten Ursachen, die diesen Haftungsdurchgriff ermöglichen.
Das Risiko ist jedoch beherrschbar. Durch proaktive Maßnahmen und den konsequenten Aufbau einer soliden Zoll-Compliance schützen Sie nicht nur die Finanzen und den Ruf Ihres Unternehmens, sondern vor allem auch Ihr hart erarbeitetes Privatvermögen.
Warten Sie nicht auf die nächste Zollprüfung oder den ersten blauen Brief vom Hauptzollamt. Sichern Sie sich und Ihr Unternehmen jetzt ab. Kontaktieren Sie unsere spezialisierten Anwälte für eine unverbindliche Erstberatung und eine professionelle Überprüfung Ihrer Zollprozesse.
Haben Sie Fragen zur Geschäftsführer-Haftung bei Zollvergehen oder wollen Hilfe bei der Überprüfung Ihrer Zollprozesse? Unsere spezialisierten Anwälte beraten Sie.
Dieser Artikel wurde am 26. Oktober 2025 erstellt. Er wurde am 30. Oktober 2025 aktualisiert
Ihr Ansprechpartner
Dr. Tristan Wegner ist seit 2013 als Rechtsanwalt im internationalen Handels- und Transportrecht tätig und hat über 10 Jahre Erfahrung. Er ist Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. Er ist geschäftsführender Partner der Kanzlei. Herr Dr. Wegner war für eine international führende Kanzlei im Zoll– und Außenwirtschaftsrecht sowie für die Zollfahndung tätig und hat zum internationalen Handel promoviert. Rechtsanwalt Dr. Wegner ist regelmäßig in der Fachpresse und veröffentlicht Aufsätze. Er ist Mitglied im Versicherungswissenschaftlichen Verein Hamburg, der Deutschen Initiative junger Schiedsrechtler (DIS40) sowie dem Europäischen Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll, dem Verein für Seerecht und der GMAA. Er ist zudem Dozent und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg.