Das Europäische Gericht Erster Instanz (EuG) hat mit seinem Urteil vom 01.03.2023, T-324/21 klargestellt, dass eine Verlagerung der Produktion nach der Einführung von Zöllen eine Umgehung darstellen kann und die Produktionsverlagerung damit den Ursprung nicht ändert.

Anlass der Frage war die Verlagerung der Produktion von für den EU-Markt bestimmten Waren des US-Amerikanischen Motorradherstellers Harley-Davidson von den USA nach Thailand, nachdem die EU spezifische Zölle auf Importe aus den USA verhängt hat.

Im Kern ging es um die Frage, unter welchen Bedingungen eine Be- oder Verarbeitung nicht wirtschaftlich gerechtfertigt ist und mithin nicht ursprungsbegründend im Sinne des Art. 33 UAbs. 1 UZK-DA wirkt.

Das EuG kam zu dem Ergebnis, dass die Verlagerung der Produktion zur Umgehung der neu eingeführten Zölle nicht zu einem Ursprung im neuen Produktionsland führt.

Die Klägerin legte gegen das Urteil Rechtsmittel ein, sodass die Rechtsfragen erneut vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überprüft werden können.

Wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit eingeschränkt

Das Urteil schwächt die Position von Unternehmen erheblich. Es muss damit gerechnet werden, dass alle unternehmerischen Entscheidungen nach der Einführung von Zöllen kritisch überprüft werden.

Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit ist eingeschränkt, wenn es darum geht von einem Standort mit hohen Zöllen in ein Land mit niedrigeren Zöllen zu wechseln.

Unternehmen sollten daher genau prüfen, ob eine Produktionsverlagerung wirklich zu geringeren Zöllen führt.

Unsere Anwälte verfügen über jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet des zollrechtlichen Warenursprungs. Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie unsicher sind, ob Sie von bestimmten Zöllen betroffen sind und ob Ihre Zollbelastung gegebenenfalls reduziert werden kann. Rufen Sie gerne unter +49 40 369615-0 an.

Verlagerung nach Einführung der Zölle

Die USA führten 2018 zusätzliche Zölle auf die Einfuhren von Stahl und Aluminium aus der EU ein.

Daraufhin führte die EU mit der Durchführungsverordnung (EU) 2018/886 vom 20.06.2018 ebenfalls Zölle auf den Import bestimmter Waren aus den USA ein, unter anderem auf Motorräder der Unterposition 8711 5000. Die Verordnung sah vor, dass sich der Zollsatz über mehrere Jahre auf bis zu 56 % erhöhen sollte.

Harley-Davidson nahm das zum Anlass, um ihre Anteilseigner über die Anwendung der zusätzlichen Zölle zu informieren. In einer offiziellen Publikation führte Harley-Davidson insbesondere aus:

„Die Europäische Union hat auf verschiedene in den Vereinigten Staaten hergestellte Waren, darunter Harley-Davidson-Krafträder, Zölle eingeführt. Diese Zölle, die am 22. Juni 2018 in Kraft getreten sind, wurden als Reaktion auf die Zölle auferlegt, die die Vereinigten Staaten auf die Ausfuhr von Stahl und Aluminium aus der [Union] in die Vereinigten Staaten auferlegt hat. In der Folge sind die Zölle der [Union] auf Harley-Davidson-Krafträder, die aus den Vereinigten Staaten ausgeführt werden, von 6 % auf 31 % gestiegen. Harley-Davidson schätzt, dass diese Zölle Zusatzkosten von ungefähr 2.200 US-Dollar pro aus den Vereinigten Staaten in die [Union] ausgeführten Krafträder verursachen werden.

Um die erheblichen Kosten dieser Zollbelastung langfristig zu bewältigen, wird Harley-Davidson einen Plan umsetzen, der darauf abzielt, die Produktion von für die [Union] bestimmten Krafträdern von den Vereinigten Staaten auf ihre internationalen Anlagen zu verlagern, um die Zollbelastung zu umgehen. Harley-Davidson erwartet, dass für die Steigerung der Produktion in den internationale Fabriken zusätzliche Investitionen erforderlich sein werden und dass es bis zum vollständigen Abschluss mindestens neun bis 18 Monate dauern könnte.“

Harley-Davidson entschied sich dafür, künftig die Motorräder in der bereits bestehenden Fabrik in Thailand zu produzieren.

Verbindliche Ursprungsauskünfte wurden beantragt

Harley-Davidson stellte mehrere Anträge auf verbindliche Ursprungsauskünfte bei den belgischen Zollbehörden.

Die belgischen Zollbehörden erstellten verbindliche Ursprungsauskünfte, die bestätigten, dass die Motorräder ihren Ursprung in Thailand hatten. Die EU-Kommission wurde von den belgischen Zollbehörden darüber informiert

EU-Kommission forderte Widerruf der verbindlichen Auskunft

Die EU-Kommission war hingegen der Auffassung, dass diese Ursprungsauskünfte falsch waren, da eine Umgehung vorliege und der Ursprung weiterhin in den USA liege. Da die belgischen Zollbehörden das anders sahen und die verbindlichen Ursprungsauskünfte nicht widerriefen, leitete die Kommission ein förmliches Verfahren gegen Belgien ein.

Am 31.03.2021 erließ die EU-Kommission sodann den Durchführungsbeschluss (EU) 2021/563, mit dem sie beschloss, dass die von den belgischen Zollbehörden erlassenen verbindlichen Ursprungsauskünfte zu widerrufen seien.

Zur Begründung führte sie an, dass eine Umgehung gem. Art. 33 UAbs. 1 UZK-DA vorliege, weshalb der Ursprung der Ware nicht in Thailand liege. Hierzu führte sie insbesondere auch die Aussagen von Harley Davidson an deren Anteilseigner an.

Der zentrale Grund für die Produktionsverlagerung sei die Umgehung der neu eingeführten Zölle und deshalb wirtschaftlich nicht gerechtfertigt.

Harley-Davidson verteidigt Verlagerung der Produktion

Die Harley Davidson klagte gegen diese Entscheidung der Kommission.

Für die Versagung des Ursprungs in Thailand sei notwendig, dass die Umgehung der Zölle der einzige vorherrschende oder wesentliche Zweck für die Verlagerung der Produktion gewesen sei. Vielmehr wurde argumentiert, dass die Verlagerung der Produktion auf anderen starken und legitimen Faktoren beruht hätte. Man habe die unternehmerische Freiheit, die Montage so zu gestalten, dass sich auch die Zölle in Grenzen halten.

Auch sei der angewendete Art. 33 UAbs. 1 UZK-DA rechtswidrig, da sein Regelungsinhalt nicht allein durch die Kommission ohne Einbeziehung des Parlamentes hätte erlassen werden dürfen.

Was eine wirtschaftlich gerechtfertigte Be- oder Verarbeitung sei, müsse sich aus dem Unionszollkodex selbst ergeben. Die Einführung einer so weitreichenden Bestimmung in einem delegierten Rechtsakt verstoße gegen Grundsätze der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit.

Gericht: Umgehung von Zöllen bei Produktionsverlagerung

Das Gericht wies die Klage ab. Es kam zu dem Ergebnis, dass der Beschluss der Kommission rechtmäßig sei.

Umgehung der Zölle hauptsächlicher oder vorherrschender Zweck

Kernfrage des Rechtsstreits war, ob die Verlagerung der Produktion wirtschaftlich gerechtfertigt und deshalb ursprungsbegründend war. Für die Klägerin wäre der Ursprung in Thailand vorteilhaft gewesen, da sie dann die für Waren aus den USA anfallenden Zölle nicht hätte zahlen müssen.

Art. 60 Abs. 2 UZK bestimmt für die Produktion von Waren, an deren Herstellung mehr als ein Land oder Gebiet beteiligt ist, dass sie ihren Ursprung in dem Land oder Gebiet haben, in dem sie der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen wurden, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen wurde und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt.

Art. 33 UAbs. 1 UZK-DA konkretisiert insoweit, dass eine in einem anderen Land oder Gebiet vorgenommene Be- oder Verarbeitung als wirtschaftlich nicht gerechtfertigt gilt, wenn auf der Grundlage der verfügbaren Tatsachen feststeht, dass der Zweck dieser Be- oder Verarbeitung darin bestand, die Anwendung von handelspolitischen Maßnahmen – zum Beispiel Zölle – zu umgehen.

Das EuG entscheid, dass es ausreiche, wenn der „hauptsächliche oder vorherrschende Zweck“ darin bestehe, die Zölle zu umgehen. Insoweit sei festzustellen, dass aufgrund der Ausführungen an die Anteilseigner objektiv erwiesen sei, dass der hauptsächliche und vorherrschende Zweck für die Verlagerung der Produktion nach Thailand eben jene Umgehung der Zölle gewesen sei.

Zudem bestehe ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung der Verordnung über die zusätzlichen Zölle durch die EU und der Veröffentlichung der Mitteilung an die Anteilseigner, der die Produktionsverlagerung als Reaktion auf die Zölle begründe.

Konkretisierung der Umgehung im UZK-DA ist zulässig

Die Konkretisierung des Begriffes, wann eine Produktionsverlagerung wirtschaftlich gerechtfertigt ist und damit keine Umgehung darstellt, habe auch im Rahmen des UZK-DA erfolgen können.

Die europarechtlichen Bestimmungen sähen vor, dass die Kommission die Kompetenz zur Ergänzung bestimmte Regelungen habe.

Fehlende Anhörung führt nicht zur Nichtigkeit des Kommissionsbeschluss

Das EuG stellte zwar fest, dass der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt worden sei, dass sie im Rahmen des Verfahrens, in dem der Beschluss getroffen wurde, nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt habe.

Der Anspruch ergebe sich aus Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte, nach der jeder Adressat von Entscheidungen, die sein Interesse spürbar beeinträchtigen, in die Lage versetzt werden müsse, ihren Standpunkt zu den zu ihren Lasten angenommenen Gesichtspunkten, auf die die Entscheidung gestützt werden, in sachdienlicher Weise vorzutragen.

Dieses Recht der Klägerin sei dadurch verletzt worden, dass die Kommission in dem Verfahren lediglich einen bilateralen Austausch mit dem Mitgliedstaat Belgien geführt habe, ohne die Klägerin anzuhören.

Dies führe aber nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses. Die Klägerin hätte im Rahmen des Verfahrens keine Einwendungen machen können, die zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, was allerdings Voraussetzung für die Nichtigkeit sei. Selbst im Rahmen des nachgelagerten Gerichtsverfahrens habe die Klägerin schließlich keine Beweise dafür vorlegen können, dass die Produktionsverlagerung auf Gründen beruht hätte, die nichts mit der Einführung der zusätzlichen Zölle zu tun gehabt hätten.

Sie haben Fragen zur Umgehung von Zöllen? Dann sprechen Sie uns gerne an.

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Dieser Artikel wurde am 3. Juli 2023 erstellt. Er wurde am 08. Februar 2024 aktualisiert. Die fachliche Zweitprüfung hat Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner durchgeführt.

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  • Rechtsanwalt Anton Schmoll berät im Zollrecht, zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Verbrauchssteuer. Er ist seit 2013 für die Kanzlei tätig und hat seitdem in zahlreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und der Europäischen Kommission das Zollrecht maßgeblich weiterentwickelt.