Mit Urteil vom 28.02.2023, VII R 21/20 hat der Bundesfinanzhof eine Streitfrage aufgelöst, die zuvor von zwei Finanzgerichten unterschiedlich beantwortet wurde.

Gegenstand der Urteile war die Einreihungsfrage von sog. Lauf- und Bockrollen, bestehend aus einem Rad aus Kunststoff und einer Befestigungsvorrichtung aus Stahl (Befestigungsplatte mit vier Befestigungslöchern).

Die Klägerin importierte die Ware in beiden Fällen als Teile von Fahrzeugen der Position 8716 (Unterposition 8716 9090) zu einem Drittlandszollsatz von 1,7 %. Das jeweilige Hauptzollamt vertrat die Auffassung, dass die Ware nach eigener Beschaffenheit als Ware aus Stahl (Unterposition 7326 9098) mit einem Drittlandszollsatz von 2,7 % einzureihen sei.

Während das Finanzgericht Düsseldorf zugunsten der Importeurs urteilte, entschied das Finanzgericht München zugunsten der Einreihungsauffassung des Hauptzollamtes. Gegen das Urteil des Finanzgerichts München wurde die Revision zugelassen und von der Klägerin eingelegt.

Im Revisionsurteil bestätigte der Bundesfinanzhof nun die Auffassung des Finanzgerichts München.

FG München: Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten

Das Finanzgericht München hat seine Einreihungsauffassung einerseits damit begründet, dass die importierten Lauf- und Bockrollen der Ware der Einreihungsverordnung (EU) 728/2013 hinreichend ähnlich seien. Nach der Einreihungsverordnung sei also die Einreihung in die Unterposition 7326 9098 vorzunehmen.

Weiterhin seien in die Unterposition 8716 9098 nur solche Waren einzureihen, die ihrer Beschaffenheit nach erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Fahrzeuge der Position 8716 bestimmt seien. Die gegenständliche Lauf und Bockrollen seien hingegen so konstruiert, dass sie an einer Vielzahl von Waren unterschiedlicher Abschnitte der Kombinierten Nomenklatur verwendet werden könnten. Die Verwendungsmöglichkeiten seien derart vielfältig, dass eine hauptsächliche Zweckbestimmung anhand der Beschaffenheit nicht ausgemacht werden könnte. Die von der Klägerin angeführte Verwendung als Bauteil von Rollbehältern sei nur eine von vielen möglichen Verwendungen.

Die Ware sei auch deshalb nach ihrer eigenen Beschaffenheit einzureihen. Die Bestandteile aus Stahl bestimmten im Hinblick auf das Gewicht, den Wert und die Bedeutung der Befestigungsvorrichtung und Radhalterung für den Verwendungszweck den Charakter der Ware.

Übliche und tatsächliche Verwendung für Rollcontainer

Die Klägerin griff das Urteil in der Revision mit vier Argumenten an.

Sie führte an, die Ware für Rollcontainer zu verwenden, die Fahrzeuge der Position 8716 seien. Die potentielle Verwendung für verschiedene andere Waren schließe nicht aus, dass die Rollen üblicherweise für nur eine Ware verwendet würden. Nur letzteres entspreche aber dem Wortlaut der einschlägigen Erläuterung zur Kombinierten Nomenklatur. Eine potentielle Multiverwendung schließe nicht aus, dass die Ware unter den verschiedenen Verwendungszwecken einen Hauptverwendungszweck habe.

Die tatsächliche Zweckbestimmung der Ware liege in der Verwendung für Rollcontainer, die in die Position 8716 einzureihen seien. Andere Verwendungen seien zwar denkbar, aber zweckwidrig und deshalb unbeachtlich.

Das FG habe außerdem die Feststellungen zur Zweckbestimmung nicht selbst vornehmen dürfen, hierzu fehle ihm die Sachkunde. Es hätte zur Feststellung einen Sachverständigen heranziehen müssen.

Letztlich bestünden Zweifel an der Gültigkeit der herangezogenen Einreihungsverordnung. Zwei der aufgeführten Verwendungsbeispiele seien unlogisch. Außerdem habe das Finanzgericht München den aufgezählten Beispielen weitere eigene Beispiele hinzugefügt und so die Begründung der Einreihungsverordnung nachgebessert. Damit habe das Finanzgericht die Tragweite der Position 8716 unzulässig eingeschränkt.

Hauptzollamt verteidigt das Urteil

Das beklagte Hauptzollamt verteidigte die Entscheidung des Finanzgerichts München. Die Einreihungsverordnung sei anwendbar und die gegenständlichen Rollen der Ware der Einreihungsverordnung hinreichend ähnlich. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen sei nicht notwendig gewesen. Abgesehen davon hätte dieser auch keine Feststellungen treffen können, die zu anderen Ergebnissen geführt hätten.

Praktische Verwendung für versch. Waren, Sachverständiger nicht zwingend

Der Bundesfinanzhof wies die Revision als unzulässig zurück und bestätigte die Entscheidung des Finanzgerichts München.

Die Gültigkeit der Einreihungsverordnung sei nicht relevant, da die Rollen auch nach ihren objektiven Merkmalen schon nicht in die Unterposition 8716 9090 einzureihen seien, da sie vom Positionswortlaut nicht umfasst seien.

Im Übrigen seien die Feststellungen des Finanzgerichts München und die darauf basierenden Folgerungen rechtsfehlerfrei getroffen worden.

Voraussetzung sei in Übereinstimmung mit den Anmerkungen und Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, dass die Rollen erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Fahrzeuge der Position 8716 bestimmt seien. Die Erkennbarkeit müsse sich aus den objektiven Merkmalen ergeben. Die konkrete subjektive Verwendung der Klägerin sei hingegen nicht relevant. Es sei zutreffend festgestellt worden, dass sich aus der objektiven Wareneigenschaft erhebliche praktische Verwendungsmöglichkeiten für Waren anderer Positionen ergäben. Hierfür spräche vor allem die universelle Befestigungsmöglichkeit.

Der Sachverhalt, auf dem diese Erwägungen fußten sei zudem rechtsfehlerfrei ermittelt worden. Es stehe dem entscheidenden Gericht frei, die Mittel der Sachverhaltsfeststellung selbst zu wählen. Ein Sachverständiger sei nicht heranzuziehen, wenn das Gericht die erforderliche Sachkunde selbst hat. Das Finanzgericht München habe sich bei seiner Überzeugungsbildung auf die visuell erkennbaren objektiven Beschaffenheitsmerkmale gestützt und die Einholung eines Sachverständigen zulässigerweise nicht für erforderlich gehalten. Dies habe es zudem auch deshalb gedurft, weil die Klägerin keine Anträge zur Einholung eines Sachverständigengutachten gestellt habe.

Die Einreihung nach eigener Beschaffenheit als Ware aus Stahl der Unterposition 7326 9098 sei ebenfalls rechtsfehlerfrei vorgenommen worden. Insbesondere sei zutreffend, dass die Befestigungsvorrichtung aus Stahl der Ware ihren wesentlichen Charakter verliehen.

Eigene Zweckbestimmung unerheblich, auch bei beständiger und ausschließlicher Verwendung

Der Bundesfinanzhof präzisiert mit seinem Urteil die Anforderungen an die „erkennbare ausschließliche oder hauptsächliche Bestimmung“ von Teilen für Waren einer bestimmten Position.

Unternehmer können sich nicht darauf verlassen, dass Teile, de sie beständig und ausschließlich für eine bestimmte Ware verwenden auch deshalb „üblicherweise“ im Sinne des Zolltarifs für diese Ware bestimmt sind. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss damit gerechnet werden, dass auch die potentielle Verwendung für andere Waren zu einer abweichenden Einreihung führt.

Weiterhin sollte beachtet werden, dass ein Finanzgericht trotz des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes von sich aus kein Sachverständigengutachten einholen muss, wenn es dies nicht für erforderlich hält. Im finanzgerichtlichen Prozess sollte die Möglichkeit erörtert werden, einen Beweisantrag zur Vernehmung eines Sachverständigen zu stellen.

Es ist ratsam, prüfen zu lassen, ob die jeweiligen Teile auch für Waren anderer zolltariflicher Positionen in Betracht kommen, um potentiellen Nachzahlungen vorzubeugen.

Unsere Anwälte bei O&W verfügen über jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet der zollrechtlichen Tarifierung von Waren. Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie Fragen zur zolltariflichen Einreihung von Import- oder Exportprodukten haben.

Haben Sie Fragen zur richtigen Zolltarifnummer?

Für Unternehmen: 15 Minuten kostenlose Erstberatung+49 40 369615-0oder Telefontermin sichern

Dieser Artikel wurde am 25. Juni 2023 erstellt. Er wurde am 04. Februar 2024 aktualisiert. Die fachliche Zweitprüfung hat Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner durchgeführt.

Ihr Ansprechpartner

  • Anton Schmoll

    Rechtsanwalt
    ABC-Str. 21
    20354 Hamburg
  • Rechtsanwalt Anton Schmoll berät im Zollrecht, zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Verbrauchssteuer. Er ist seit 2013 für die Kanzlei tätig und hat seitdem in zahlreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und der Europäischen Kommission das Zollrecht maßgeblich weiterentwickelt.