Der Europäische Gerichtshof hat in einer wegweisenden Entscheidung vom 15. Mai 2025 (Rs. C-782/23) wichtige Klarstellungen zur zollrechtlichen Bewertung von Waren getroffen, die zunächst zu einem vorläufigen Preis eingeführt werden. Die Luxemburger Richter bestätigten die Anwendbarkeit der Transaktionswertmethode auch in Fällen, in denen der endgültige Kaufpreis erst nach der Einfuhr anhand objektiver Faktoren festgelegt wird.
Hintergrund des Verfahrens
Das Vorabentscheidungsersuchen des obersten Verwaltungsgerichts Litauens betraf die Auslegung des Art. 70 des Unionszollkodex (UZK) im Kontext von Kraftstoffimporten. Der Importeur Tauritus hatte Diesel- und Flugturbinenkraftstoff auf Basis vorläufiger Preise eingeführt. Die Kaufverträge sahen vor, dass der endgültige Preis später anhand objektiver Faktoren wie Durchschnittspreise und Wechselkurse bestimmt werden sollte. Bei einer nachträglichen Kontrolle stellten die Zollbehörden fest, dass für mehrere Einfuhren keine Anpassung der Zollwertanmeldung erfolgt war, obwohl die endgültigen Rechnungen höhere Preise auswiesen.
Zentrale rechtliche Erwägungen
Der EuGH betont in seiner Entscheidung den Vorrang der Transaktionswertmethode bei der Zollwertermittlung. Diese ist auch dann anzuwenden, wenn zum Zeitpunkt der Einfuhr nur ein vorläufiger Preis bekannt ist, sofern der endgültige Preis anhand objektiver, vorab festgelegter und vom Parteiwillen unabhängiger Kriterien bestimmbar ist. Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichtshofs, dass der Endpreis zum Zeitpunkt der Einfuhr bereits bestimmbar war, auch wenn er noch nicht konkret feststand.
Abgrenzung zur Hamamatsu-Rechtsprechung
Der Gerichtshof grenzt den Fall deutlich von seiner Hamamatsu-Entscheidung (EuGH C-529/16) ab. Anders als bei konzerninternen Verrechnungspreisanpassungen basiert die Preisanpassung hier auf objektiven, marktbezogenen Faktoren und nicht auf einer nachträglichen Gewinnverteilung zwischen verbundenen Unternehmen. Der tatsächliche wirtschaftliche Wert der Waren spiegelt sich in den vertraglich vereinbarten Preisanpassungsmechanismen wider.
Praktische Umsetzung durch vereinfachtes Anmeldeverfahren
Für die praktische Umsetzung verweist der EuGH auf das vereinfachte Zollanmeldeverfahren nach Art. 166, 167 UZK. Dieses ermöglicht eine vorläufige Anmeldung mit dem Pro-forma-Preis und eine spätere ergänzende Anmeldung mit dem endgültigen Preis. Das Verfahren gewährleistet sowohl die korrekte Zollwertermittlung als auch die Erfüllung der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Anmeldung.
Praxisrelevanz für Importeure
Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Importeure, die Waren zu vorläufigen Preisen einführen. Sie müssen jedoch das vereinfachte Anmeldeverfahren nutzen und dürfen nicht – wie im Ausgangsfall – die Schlussmethode nach Art. 74 Abs. 3 UZK anwenden.
Bemerkenswert ist auch der Hinweis des EuGH, dass die fehlende betrügerische Absicht unerheblich ist – jede Nichtbeachtung zollrechtlicher Vorschriften stellt eine Zuwiderhandlung dar.
Fazit
Mit dieser Entscheidung hat der EuGH die methodische Herangehensweise bei der Zollwertermittlung für Waren mit vorläufigen Preisen klar strukturiert. Importeure erhalten eine verlässliche Handlungsanweisung, müssen aber die formalen Anforderungen des vereinfachten Anmeldeverfahrens strikt beachten. Die Entscheidung dürfte insbesondere für den Handel mit Rohstoffen und Commodities, bei denen Preisanpassungsklauseln häufig sind, große praktische Bedeutung haben.
Sie haben Fragen zur zollrechtlichen Bewertung oder zum vereinfachten Anmeldeverfahren? Unsere Fachanwälte beraten Sie.
Dieser Artikel wurde am 8. Dezember 2025 erstellt.
Ihr Ansprechpartner
Rechtsanwalt Anton Schmoll berät im Zollrecht, zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Verbrauchssteuer. Er ist seit 2013 für die Kanzlei tätig und hat seitdem in zahlreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und der Europäischen Kommission das Zollrecht maßgeblich weiterentwickelt.