Das Finanzgericht Hamburg hat in einer wegweisenden Entscheidung die Voraussetzungen für die Zollschuldnerschaft bei der Entziehung von Waren aus der vorübergehenden Verwahrung präzisiert und dabei die Position gutgläubiger Verwahrer gestärkt (Urt. v. 18.07.2024 – 4 K 84/22).

Der Fall: Schmuggel unter Nutzung eines Logistikdienstleisters

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein ausgeklügelter Versuch, 750 Kartons mit insgesamt 10,5 Millionen Zigaretten über den Hamburger Hafen in die EU zu schmuggeln. Die Täter hatten dabei gezielt einen seriösen Logistikdienstleister eingeschaltet, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. Während die Frachtpapiere ursprünglich korrekt auf „Filterzigaretten“ lauteten, wurden diese später auf „Sonnenbrillen“ geändert. Die Tätergruppe beauftragte dann die gutgläubige Klägerin mit der Übernahme der vorübergehenden Verwahrung und der Zollabwicklung.

Rechtlicher Rahmen: Zollschuldentstehung und Voraussetzungen der Zollschuldnerschaft

Das Gericht bestätigte zunächst – zum alten Zollrecht – dass durch die Entfernung des Containers vom zugelassenen Verwahrungsort eine Zollschuld nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entstanden war. Der Container wurde für mehr als sechs Stunden an einen unbekannten Ort verbracht, was nach ständiger Rechtsprechung einen Entzug aus der zollamtlichen Überwachung darstellt.

Zentral war jedoch die Frage der Zollschuldnerschaft der Klägerin als Inhaberin der vorübergehenden Verwahrung.

Nach Art. 203 Abs. 3, 2. Anstrich ZK setzt die Zollschuldnerschaft neben einer objektiven Beteiligungshandlung voraus, dass der Beteiligte wusste oder billigerweise hätte wissen müssen, dass er die Waren der zollamtlichen Überwachung entzieht.

Sorgfältige Prüfung der subjektiven Voraussetzungen

Das Finanzgericht führte eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände durch, um zu beurteilen, ob die Klägerin von den Schmuggelabsichten hätte wissen müssen. Dabei wurde berücksichtigt, dass die Klägerin als erfahrene Zolldienstleisterin erhöhten Sorgfaltsanforderungen unterlag.

Die vom Hauptzollamt vorgebrachten Verdachtsmomente – wie die Stornierung eines früheren Verzollungsauftrags, vermeintlich auffällige Handelsdokumente oder das nervöse Verhalten des Auftraggebers – reichten nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht aus, um eine fahrlässige Unkenntnis zu begründen. Die vorgelegten Frachtpapiere waren Originale und in sich stimmig, sodass aus Sicht eines verständigen Wirtschaftsteilnehmers keine zwingenden Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten vorlagen.

Praktische Bedeutung für Zolldienstleister und Verwahrer

Die Entscheidung stärkt die Position von Zolldienstleistern und Verwahrern, die trotz sorgfältiger Prüfung Opfer professioneller Schmuggeloperationen werden.

Das Gericht stellt klar, dass nicht jede Auffälligkeit automatisch zu erhöhten Prüfpflichten führt.

Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich, die auch die Realitäten des Massengeschäfts im internationalen Warenverkehr berücksichtigt.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung gibt wichtige Orientierung für die erforderliche Prüfungstiefe bei der Übernahme von Zollaufträgen:

  1. Eine in sich stimmige Dokumentenlage rechtfertigt grundsätzliches Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit des Vorgangs

  2. Einzelne Auffälligkeiten, die auch harmlose Erklärungen haben können, begründen noch keine gesteigerten Nachforschungspflichten

Für Zolldienstleister bedeutet dies mehr Rechtssicherheit bei der Annahme von Aufträgen. Sie müssen zwar weiterhin wachsam sein, können sich aber bei einer plausiblen Gesamtsituation auf die vorgelegten Dokumente verlassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – eine gewachsene Geschäftsbeziehung besteht und die bisherige Zusammenarbeit unauffällig verlaufen ist.

Die Entscheidung zeigt auch, dass die Zollbehörden bei der Inanspruchnahme von Beteiligten als Zollschuldner nicht schematisch vorgehen dürfen, sondern eine sorgfältige Einzelfallprüfung vornehmen müssen. Dies ist besonders relevant in Fällen, in denen – wie hier – selbst die Strafverfolgungsbehörden von der Gutgläubigkeit des Beteiligten ausgehen.

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Dieser Artikel wurde am 8. November 2025 erstellt.

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  • Anton Schmoll

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  • Rechtsanwalt Anton Schmoll berät im Zollrecht, zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Verbrauchssteuer. Er ist seit 2013 für die Kanzlei tätig und hat seitdem in zahlreichen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof und der Europäischen Kommission das Zollrecht maßgeblich weiterentwickelt.