Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einer Entscheidung die Haftung eines Frachtführers für den Verlust von Waren durch behördliche Beschlagnahme in der Ukraine bestätigt. Das Urteil vom 20. November 2024 (7 Ob 175/24x) konkretisiert die Sorgfaltsanforderungen an internationale Transportunternehmen in Krisengebieten und hat erhebliche Bedeutung für die Transportbranche.
Bedeutung für die Praxis
Ein italienisches Unternehmen beauftragte die Klägerin mit dem Transport von Polysterol im Wert von 42.741,40 EUR von Italien nach Lipetsk (Russland). Die Klägerin beauftragte ihrerseits die beklagte Spedition, die auf Russland-Transporte spezialisiert war. Der Transport begann am 22. Februar 2022. Als der LKW am Morgen des 24. Februar 2022 die ukrainische Grenze erreichte, war der russische Einmarsch in die Ukraine bereits im Gange. Nach Grenzübertritt wurde das Fahrzeug von ukrainischen Behörden beschlagnahmt. Weder der genaue Hergang der Beschlagnahme noch der Verbleib von Fahrer, LKW und Ware sind bekannt.
Zum Fall
Der OGH bestätigte die Haftung der beklagten Spedition nach Art. 17 Abs. 1 CMR für den Warenverlust. Zentral war die Frage, ob die Beschlagnahme einen unabwendbaren Umstand im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Fall 4 CMR darstellte, der zur Haftungsbefreiung geführt hätte.
Das Gericht stellte klar, dass eine behördliche Beschlagnahme nur dann als unabwendbar gilt, wenn sie rechtswidrig oder willkürlich erfolgt. Der Frachtführer muss nachweisen, dass er trotz Anwendung äußerster zumutbarer Sorgfalt den Schaden nicht verhindern konnte. Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor:
Die Beklagte wusste von der angespannten politischen Situation und dem drohenden Kriegsausbruch. Sie wurde von der Klägerin sogar ausdrücklich nach ihrer Risikoeinschätzung gefragt. Trotz dieser Warnzeichen versicherte die Beklagte, es bestünden keine besonderen Transportrisiken.
Rechtliche Bewertung
Besonders bedeutsam ist die Bewertung der alternativen Routenwahl durch das Gericht. Eine Strecke über Weißrussland wäre zwar etwa 300 km länger und mit höheren Straßengebühren verbunden gewesen, hätte aber ein deutlich geringeres Risiko dargestellt. Diese Alternative wäre keine wirtschaftlich unzumutbare Maßnahme gewesen, wie erfolgreiche Transporte am Folgetag über diese Route bewiesen.
Eine alternative Route über Weißrussland wäre zwar länger und teurer gewesen, hätte aber ein deutlich geringeres Risiko dargestellt und wäre keine wirtschaftlich unzumutbare Maßnahme gewesen.
Besondere Bedeutung der Routenwahl
Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für internationale Transportunternehmen:
- Frachtführer müssen politische Risiken in Transitländern sorgfältig analysieren und dokumentieren.
- Alternative, wenn auch teurere Routen müssen in Krisensituationen ernsthaft geprüft werden.
- Die besondere Sachkenntnis des Frachtführers erhöht die Sorgfaltsanforderungen bei der Risikobeurteilung.
Das Urteil verdeutlicht, dass sich Transportunternehmen nicht auf die Unabwendbarkeit kriegerischer Ereignisse berufen können, wenn sie trotz erkennbarer Risiken keine angemessenen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die Entscheidung dürfte künftig als Maßstab für die Bewertung von Transportrisiken in Krisenregionen dienen.
Haben Sie Fragen zur Frachtführerhaftung oder benötigen Unterstützung bei der Bewertung von Transportrisiken? Unsere Fachanwälte beraten Sie.
Dieser Artikel wurde am 8. November 2025 erstellt.
Ihr Ansprechpartner
Dr. Tristan Wegner ist seit 2013 als Rechtsanwalt im internationalen Handels- und Transportrecht tätig und hat über 10 Jahre Erfahrung. Er ist Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. Er ist geschäftsführender Partner der Kanzlei. Herr Dr. Wegner war für eine international führende Kanzlei im Zoll– und Außenwirtschaftsrecht sowie für die Zollfahndung tätig und hat zum internationalen Handel promoviert. Rechtsanwalt Dr. Wegner ist regelmäßig in der Fachpresse und veröffentlicht Aufsätze. Er ist Mitglied im Versicherungswissenschaftlichen Verein Hamburg, der Deutschen Initiative junger Schiedsrechtler (DIS40) sowie dem Europäischen Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll, dem Verein für Seerecht und der GMAA. Er ist zudem Dozent und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg.