Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Landgerichts Oldenburg aufgehoben und einen Geschäftsführer vom Vorwurf fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung bei Exporten von pentobarbitalhaltigen Tierarzneimitteln freigesprochen. Eine temporäre Gesetzeslücke zwischen EU- und nationalem Recht machte die Strafverfolgung unmöglich.

Regelungslücke führt zu Freispruch bei Exportkontrollverstoß

Hintergrund des Verfahrens

Die V. GmbH hatte in den Jahren 2017 und 2018 Tierarzneimittel mit dem Wirkstoff Pentobarbital ohne erforderliche Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in die USA und nach Japan exportiert. Da dieser Wirkstoff potenziell zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet werden kann, unterlag er der damaligen EU-Anti-Folter-Verordnung 1236/2005. Das Landgericht Oldenburg hatte den Geschäftsführer wegen fahrlässiger Verletzung von Aufsichtspflichten zu einer Geldbuße von 10.000 Euro verurteilt und gegen das Unternehmen die Einziehung von 777.638,71 Euro angeordnet.

Rechtliche Bewertung durch den BGH

Der BGH stellte in seiner Entscheidung fest, dass eine Bestrafung aus Rechtsgründen ausscheiden muss. Zwar lag zur Tatzeit ein Verstoß gegen die Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG vor. Jedoch entstand durch die Ablösung der EU-Anti-Folter-Verordnung 2005 durch die neue EU-Verordnung 2019/125 am 20. Februar 2019 eine entscheidende Gesetzeslücke: Die deutsche Blankettstrafnorm in § 18 Abs. 4 AWG wurde erst mit erheblicher Verzögerung zum 17. Juli 2020 an das neue EU-Recht angepasst.

In dieser Übergangszeit von fast 17 Monaten waren Verstöße gegen das Genehmigungserfordernis nicht strafbewehrt.

Nach dem strafrechtlichen Grundsatz ‚lex mitior‘ ist das mildeste Gesetz anzuwenden, das zwischen Tatbegehung und Urteil galt. Da es zeitweise keine Strafbarkeit gab, musste der Freispruch erfolgen.

Wegweisende Aussagen zur Gesetzesauslegung

Der BGH traf wichtige Feststellungen zur Auslegung von Blankettstrafnormen im Außenwirtschaftsrecht:

  • Ein Verweis auf EU-Verordnungen in Strafvorschriften erfasst diese nur in ihrer Geltung, nicht statisch deren Inhalt.
  • Die neue Regelung in § 30 AWG, die solche Strafbarkeitslücken künftig verhindern soll, gilt nicht rückwirkend.
  • Das ‚Bruttoprinzip‘ bei der Vermögensabschöpfung findet bei Fahrlässigkeitstaten keine Anwendung.

Bedeutung für die Exportkontroll-Compliance

Die Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung für die Exportkontrolle. Sie zeigt die Notwendigkeit einer zeitnahen Anpassung nationaler Strafvorschriften bei Änderungen von EU-Recht. Für Unternehmen bedeutet dies:

Die grundsätzliche Pflicht zur Implementierung wirksamer Exportkontrollsysteme bleibt bestehen. Jedoch können Verstöße in Übergangszeiträumen zwischen EU- und nationaler Gesetzgebung unter Umständen nicht geahndet werden. Dies gilt besonders bei der Einführung oder Änderung von EU-Handelsbeschränkungen.

Fazit

Die Entscheidung verdeutlicht die komplexe Verzahnung von EU- und nationalem Recht im Außenwirtschaftsstrafrecht. Sie mahnt den Gesetzgeber zu schnellerer Anpassung nationaler Strafvorschriften an EU-Recht. Für die Praxis der Exportkontrolle bleibt entscheidend, dass Unternehmen weiterhin effektive Compliance-Systeme vorhalten müssen – unabhängig von temporären Strafbarkeitslücken.

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Dieser Artikel wurde am 8. Dezember 2025 erstellt.

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  • Dr. Tristan Wegner

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  • Dr. Tristan Wegner ist seit 2013 als Rechtsanwalt im internationalen Handels- und Transportrecht tätig und hat über 10 Jahre Erfahrung. Er ist Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. Er ist geschäftsführender Partner der Kanzlei. Herr Dr. Wegner war für eine international führende Kanzlei im Zoll– und Außenwirtschaftsrecht sowie für die Zollfahndung tätig und hat zum internationalen Handel promoviert. Rechtsanwalt Dr. Wegner ist regelmäßig in der Fachpresse und veröffentlicht Aufsätze. Er ist Mitglied im Versicherungswissenschaftlichen Verein Hamburg, der Deutschen Initiative junger Schiedsrechtler (DIS40) sowie dem Europäischen Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll, dem Verein für Seerecht und der GMAA. Er ist zudem Dozent und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg.