Möglicherweise bahnt sich eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) von erheblicher Tragweite für Unternehmen an: Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 15. Juni 2017 im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Hauptzollamt Landshut lassen auf eine baldige Liberalisierung im Antidumpingrecht hoffen. Damit könnten Rückzahlungen von Antidumpingzöllen bald möglich werden.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn mit nachträglich eingereichten Unterlagen (insb. Handelsrechnungen) unternehmensspezifische Antidumpingzollsätze erreicht werden können. Bislang hatte die Zollverwaltung nachträglich gelieferte Unterlagen stets als verspätet zurückgewiesen und die vollen Antidumpingsätze verlangt.
Unternehmen sollten prüfen, ob sie jetzt schon Erstattungsanträge auf Rückzahlung von Antidumping stellen und Unterlagen nachreichen können. Erstattungsanträge sind grundsätzlich nur innerhalb von drei Jahren denkbar, sodass schnell gehandelt werden sollte.
Vorlage durch das FG München
Im Ausgangsverfahren ging es um einen Fall, in dem einem importierenden Unternehmen der individuelle Antidumpingzollsatz vom Hauptzollamt verwehrt und stattdessen die höheren Antidumpingzölle „für alle übrigen Unternehmen“ festgesetzt worden war. Denn zum Zeitpunkt der Zollanmeldung erfüllte die vorgelegte Handelsrechnung nicht die formalen Vorgaben der maßgeblichen Antidumpingverordnung. Daraufhin stellte das betroffene Unternehmen einen Erstattungsantrag, da es der Meinung war, dass die nachgetreichten Unterlagen ausreichend sein müssten. Wir hatten über diesen Fall bereits berichtet.
Bei deutschen Zollbehörden herrscht bisher die Praxis, jegliches Nachreichen einer Rechnung in der für die Anwendung unternehmensspezifischer Antidumpingzollsätze erforderlichen Form nicht zuzulassen. Das führte bei kleinen Formalfehlern oft zu sehr hohen Nachzahlungen. Das FG München hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Nachreichen ordnungsgemäßer Handelsrechnungen möglich ist.
Generalanwalt spricht sich für Nachreichen aus
In seinen Schlussanträgen hat der Generalanwalt nun dem Gerichtshof eine Entscheidung zugunsten der Unternehmen empfohlen. Er hat sich insofern für ein Nachreichen positiv ausgesprochen. Es besteht daher Anlass zur Hoffnung auf eine Änderung der Praxis der deutschen Zollverwaltung.
Die Vorschriften stünden einem Nachreichen von Handelsrechnungen nicht entgegen, solange kein Umgehungsrisiko bestehe und die ordnungsgemäße Erhebung der Antidumpingzölle nicht gefährdet sei. Ziel der Verhängung von Antidumpingzöllen sei es, den durch gedumpte Einfuhren verursachten Schaden zu beseitigen. Deshalb verstoße es gegen den Grundgedanken der Antidumpingmaßnahmen, wenn trotz fehlenden Umgehungsrisikos auf bestimmte Waren lediglich aufgrund formeller Fehler der Handelsrechnung ein höherer als der individuelle Zollsatz angewandt werde. Diese Ansicht vertrat auch die Kommission.
Ob der EuGH den Anträgen folgt bleibt abzuwarten, oft ist das aber der Fall. Im Anschluss an das Urteil des EuGH wird auch das FG München noch eine Entscheidung im Ausgangsverfahren treffen müssen.
Das Urteil des EuGH wird formal nur die Auslegung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 412/2019 zur Einführung eines Antidumpingzolls für Geschirr und andere Artikel aus Keramik für den Tisch- oder Küchengebrauch betreffen. Denkbar ist aber auch, dass von dem Urteil für andere Verordnungen und auch für andere fehlende Unterlagen als im konkreten Fall eine Signalwirkung augeht. Es wird daher in jedem Einzelfall zu prüfen sein, ob das Urteil auch auf andere Antidumpingmaßnahmen übertragen werden kann. Auch bleibt abzuwarten, wie die deutsche Zollverwaltung und die Gerichte auf das Urteil reagieren. Jedenfalls spricht aber einiges dafür, dass eine Vielzahl von Unternehmen sich bald über eine Rückzahlung von Antidumpingzoll freuen könnten.
Rückzahlung möglich: Antrag auf Erstattung von Antidumpingzoll stellen
Importierende Unternehmen sollten prüfen lassen, ob sie in den letzten drei Jahren zu viele Antidumpingzölle wegen fehlender Handelsrechnungen bezahlen mussten. Grundsätzlich denkbar ist auch die Stellung von Erstattungsanträgen zur Fristwahrung und das spätere Nachreichen ordnungsgemäßer Rechnungen. Jedenfalls ist nicht zu erwarten, dass die deutsche Zollverwaltung eine Erstattung von Amts wegen vornehmen wird. Daher empfiehlt es sich für Importeure von sich aus tätig zu werden.