Der Berufseinstieg als junger Anwalt fängt schon mit der Auswahl und Bewerbung in der richtigen Kanzlei an. Doch welche Kanzlei passt überhaupt zu wem und auf welche Kriterien sollte man bei der Auswahl achten?

In welchem Kanzleityp möchte ich arbeiten?

Solltest man sich auf eine Stelle als Anwalt in einer Kanzlei bewerben, sehen die Standard Stellenanzeigen in etwa so aus:

„Wir suchen Associate für Insolvenzrecht“ oder „Rechtsanwalt für Handelsrecht gesucht“.

In der Regel folgt dann noch eine Aufgabenbeschreibung und ein Profil mit den Anforderungen an die Bewerber.

Insbesondere die Berufsbezeichnung als Associate oder Rechtsanwalt sind fixe Begriffe, da es sich immerhin um eine rechtlich geschützte Berufsgruppe handelt.

Doch sind die Aufgaben und Mandate logischerweise nicht in jeder Kanzlei gleich oder werden gleich gehandhabt.

Die Arbeit in einer Großkanzlei, mittelständischen Kanzlei oder Boutique sowie in einer US-amerikanischen oder deutschen Anwaltskanzlei unterscheidet sich in der Praxis sehr stark voneinander. 

Moritz Brandenburger, Anwalt bei O&W, zu diesem Entscheidungsprozess:

Im Grunde kann man die kleine, mittelständische Kanzlei und die Großkanzlei mit einem Segelboot und einem Kreuzfahrtschiff vergleichen, so der junge Anwalt.

„Auf einem Kreuzfahrtschiff befindet man sich oft weit weg von den strategischen Entscheidungen – ähnlich wie in einer Großkanzlei“.

Moritz Brandenburger, seit 2020 bei O&W Rechtsanwälte

In einer Großkanzlei werde einem jungen Anwalt in den ersten Jahren oft nicht viel zugetraut und die letztendliche Entscheidungsgewalt und Verantwortung liege dann bei den Partnern, so seine Erfahrung.

Auf einem Segelboot dagegen könne man selbst entscheiden, in welche Richtung die Fahrt gehen soll.

So verhalte es sich auch in einer kleineren Kanzlei, bei der die Entscheidungswege kürzer und die Verantwortung mehr und frühzeitiger beim einzelnen Anwalt liege, wenngleich es aber trotzdem am Ende immer einer Teamleistung bedarf, um die Kanzlei als solche zum Erfolg zu führen.

„Ich finde an einer kleineren Kanzlei neben der Verantwortung und den Gestaltungsmöglichkeiten den engen, persönlichen Kontakt besonders reizvoll.“

Moritz Brandenburger, Anwalt für Zollrecht bei O&W Rechtsanwälte

Junganwälte: Prädikat, LL.M. und Promotion?

Viele Kanzleien fordern in ihren Stellenausschreibungen regelmäßig zwei Prädikatsexamina und im Extremfall auch noch einen LL.M. oder einen Doktortitel.

Logischerweise trifft das nicht auf alle Jura-Absolventen zu. Deshalb sollten die Kandidaten nicht davor zurückschrecken, es dennoch mit einer Bewerbung zu versuchen.

Denn erfahrungsgemäß halten nicht alle Kanzleien stur an diesen Anforderungen fest, wenn sie ihren Rekrutierungsbedarf decken wollen.

Umso wichtiger ist dann aber im nächsten Schritt zu prüfen, ob die persönlichen Qualifikationen ansonsten mit den Werten und dem Arbeitsethos der beworbenen Kanzlei „matchen“ und den Fokus in der Bewerbung auch darauf zu legen.

Hat man beispielsweise ein Auslandssemester absolviert und konnte die Fremdsprachen-Fähigkeiten weiter ausbauen? Handelt es sich um eine international tätige Kanzlei wird es sicherlich von Vorteil, wenn nicht sogar „mandatory“ sein, entsprechend sicher im Umgang mit z.B. der englischen Sprache zu sein.

Hat man sich während des Studiums und Referendariats mit Themen abseits der klassischen Jura-Themen auseinandergesetzt, gesellschaftlich oder politisch engagiert und „über den Tellerrand“ hinaus geblickt?

Viele der Kanzleien wissen es nach unserer Erfahrung zu schätzen, wenn man die Dinge und Sachverhalte nicht nur durch die „Jura-Brille“ beleuchtet, sondern auch andere Perspektiven einnehmen kann.

Kanzleikarriere: Arbeitsatmosphäre und Kanzleiwerte

Auch als Anwalt sollte man gerne zur Arbeit gehen.

Eine große Rolle dabei spielt die Frage, wie wohl man sich in der Kanzlei und im Umgang mit den Arbeitskollegen fühlt.

Sollte man sich überhaupt nicht mit den Werten und der Arbeitsmoral identifizieren können, schlägt die Bewerbung schon fehl und spätestens im Vorstellungsgespräch wird man sich im Regelfall verstellen müssen.

Deswegen sollte man sich im Vorfeld ein genaues Bild vom potentiellen Arbeitgeber machen und sich ehrlich fragen:

Kanzleikarriere: Kriterien für die Kanzleisuche?

  • Würde es mir Spaß machen, dort zu arbeiten?
  • Vertrete ich dieselben Werte wie die Kanzlei?
  • Verstehe ich mich mit den Kollegen?
  • Wird meine Arbeit dort wertgeschätzt?
  • Wie ist das Arbeitsklima?
  • Wie läuft die interne Kommunikation?
  • Auf welche Soft Skills wird besonders viel Wert gelegt?
  • Vereinbarkeit mit Familie: Gibt es Betreuungsmöglichkeiten oder flexible Arbeitszeiten?
  • Gibt es regelmäßig Feedbackgespräche und ein Mentoring?

Dies sind natürlich auch teilweise Fragen, die man im Zweifel auch erst beurteilen kann, wenn man schon eine Zeit dort gearbeitet hat. Insofern kann es sich auch hier anbieten, mal „vorzufühlen“ und um einen unverbindlichen Telefontermin mit einem der Anwälte zu bitten, um die eine oder andere diskrete Frage zu stellen.

On Boarding in einer Anwaltskanzlei

Als Berufseinsteiger und Jung-Anwalt ist man in aller Regel froh darüber, nun die Zeit der Ausbildung und Theorie endlich hinter sich zu lassen und Erfahrungen in der Praxis der Anwaltschaft zu sammeln.

Fängt man als Jung-Anwalt in einer Kanzlei an, finden die ersten Berührungspunkte mit dem Anwaltsberuf in aller Regel in der Anwaltsstation oder während eines Nebenjobs parallel zum Studium statt.

Selten bekommt man aber bereits hier wirklich Verantwortung übertragen und kann sich als Anwalt ausprobieren. Insofern bleibt oft nur der Sprung ins kalte Wasser.

Quereinsteigern, die vor der juristischen Ausbildung bereits in anderen Berufsbildern praktische Erfahrungen sammeln konnten, fällt das daher oft leichter.

Es stellen sich oft berufsübergreifende Fragen wie:

  • Wann gehe ich in die erste Gehaltsverhandlung?
  • Wie gehe ich mit Fehlern um?

Aber auch anwaltsspezifische Fragestellungen, wie:

  • Wie beantrage ich meine Anwaltszulassung?
  • Wie funktioniert das BEA?

kommen auf.

Daher sollte bei der Auswahl der richtigen Kanzlei auch darauf geachtet werden, wie viel Spielraum und auch Verständnis für den Berufseinstieg und Berufsanfänger entgegengebracht wird.

Kriterien für ein ausgereiftes On-Boarding können dabei u.a. sein:

Kanzleisuche: Kriterien für On Boarding

  • Findet eine gut organisierte und strukturierte Einarbeitung statt?
  • Gibt es eine klare Aufgabenzuweisung?
  • Gibt es Leitfäden und gerade in Home-Office-Zeiten digitale Alternativen?
  • Habe ich einen Ansprechpartner oder Mentor, an den ich mich als Junganwalt jederzeit mit Fragen wenden kann?
  • Arbeitsbeginn: Fangen andere neue junge Kollegen zeitgleich an?
  • Fehlerkultur: Offener Umgang mit Fehlern und Verständnis für Berufseinsteiger?
  • Gibt es regelmäßig Feedback-Gespräche?

Homeoffice in Anwaltskanzleien

Die Corona-Pandemie hat viele Kanzleien dazu gezwungen, digitaler und flexibler zu arbeiten – eigentlich zwei Attribute, die man im Kontext Anwaltskanzlei weniger häufig verwendet.

In vielen Kanzleien wurden daher notwendigerweise Arbeitsmodelle wie Home Office und Remote Work eingeführt und Post Lockdown als fester Bestandteil der Arbeitskultur integriert.

Mit Erfolg: Vielerorts und auch in persönlicher Hinsicht konnte im Home Office sogar produktiver gearbeitet werden.

Bei O&W konnten wir zudem dank moderner und kanzleieigener Software eine gewohnt gute Betreuung unserer Mandanten erreichen.

Wer als Berufseinsteiger also großen Wert darauf legt, auch von zuhause arbeiten zu können, kann mittlerweile mit sehr viel mehr Entgegenkommen und Verständnis rechnen.

Schriftliche Vereinbarungen darüber bleiben aber trotzdem eine Seltenheit. Denn aus Sicht des Arbeitgebers entstünde so oft das Risiko, dass ein Telearbeitsplatz (iSv § 2 Abs. 7 der Arbeitsschutzverordnung) vereinbart wird.

Außerdem liegt es ohnehin in der Natur des Anwaltsberufs, den Arbeitsplatz im Büro für externe Gerichts- und Mandantentermine zu verlassen. Außerdem ist es ab und an auch ganz schön, sich mit den Team-Kollegen auszutauschen.

Work-Life-Balance und Anwaltskanzleien

Auch als Anwalt benötigt man einen gewissen Ausgleich zur Arbeit. Inzwischen ist es daher auch kein Novum mehr, als Kanzlei mit einer Work-Life-Balance zu werben.

Überstunden bis in die Nacht und kaum Urlaub – so kennen viele das Klischee vom Anwalt in vielen Groß- aber auch mittelständischen Kanzleien.

Doch wie sieht es tatsächlich in der Realität aus? Gibt es in der Kanzlei flexible Arbeitszeiten?

Üblich und in der Praxis vieler Kanzleien sind Klauseln in den Arbeitsverträgen wie: „Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Mehrarbeit ist bis zu 20 Prozent mit dem Gehalt abgegolten“.

Wer sich dazu verpflichtet, bekommt für die Mehrarbeit daher in der Regel keinen Ausgleich in Form von einem Bonus oder Freizeit gutgeschrieben.

Oftmals wird dafür zwar auch eine entsprechend hohe Vergütung gezahlt, aber in der Realität leiden bei jedem zweiten irgendwann das Privatleben, die Gesundheit und auch die Qualität der eigenen Arbeit darunter.

Berufseinsteiger sollten sich daher bereits vor dem Vorstellungsgespräch über ihre persönlichen Grenzen und Wünsche bewusst sein und diese im Gespräch auch klar äußern – natürlich nur wenn sie realistisch und mit der konkreten Position vereinbar sind.

Aber auch hier ist bei der Formulierung Fingerspitzengefühl gefragt: Manch ein Partner kann die Forderung nach einer angemessenen Work-Life-Balance auch als einen Mangel an Leistungsbereitschaft und Motivation missverstehen und im Ergebnis ggf. davon absehen, den Bewerber einzustellen.

Als Alternative kann es sich daher auch empfehlen, nach der Probezeit und einer angemessenen Phase der Einarbeitung, in der man sich profilieren konnte, das Gespräch zu suchen.

Genauso verhält es sich mit der Frage nach dem Urlaubsanspruch. Im Regelfall wird die Urlaubsregelung in einer Kanzlei einheitlich für alle Anwälte gehandhabt. Ausnahmen sind da eher die Seltenheit.

Eine Besonderheit ist in der Tat das sogenannte Sabbatical – auf Deutsch auch Sabbat-Jahr genannt.

Das Sabbatical ist eine unbezahlte Freistellung für einen längeren Zeitraum und in 99 % der Fälle nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages. Doch auch viele Kanzleien haben die Vorteile einer solchen Auszeit erkannt und bieten Anwälten die Möglichkeit an.

Erfahrungsgemäß steigert ein Sabbatical nämlich unter Umständen nicht nur die Produktivität beim Arbeitnehmer, sondern führt auch zu einer qualitativ höherwertigen Fachberatung durch den entsprechenden Anwalt und somit einer Wertsteigerung der Kanzlei. Insofern gehört das Sabbatical durchaus zu den Benefits, die bei der Auswahl der Kanzlei eine Rolle spielen dürfen.

Das Einstiegsgehalt in Anwaltskanzleien

Nicht von der Hand zu weisen ist jedenfalls auch: Das Gehalt spielt eine große Rolle, selbst wenn Kriterien wie Work-Life-Balance bei vielen jungen Juristen immer wichtiger werden.

Je nach Kanzleityp fällt das Anfangsgehalt natürlich unterschiedlich hoch aus.

Transparenz bei den Gehältern in Kanzleien sucht man allerdings immer noch vergeblich.

Erfahrungsgemäß kann man sich aber an folgenden Richtwerten orientieren: (Quelle: azur JUVE, Std. Dez. 2021)

  • Kleine Kanzleien: ab 45.000 €
  • Boutiquen: ab 60.000 €
  • Mittelständische Kanzleien: ab 55.000 €
  • Großkanzleien: bis zu 160.000 €

Wichtig ist es für junge Juristen dabei auch, Antworten auf folgende Fragen zu bekommen:

  • Ist der Betrag das jährliche Grundgehalt oder der Stundenlohn?
  • Hast Du Anspruch auf Überstundenzuschläge?
  • Wann und mit welcher Beförderung kommt eine Gehaltserhöhung in Betracht?

Bei einigen Kanzleien gibt es außerdem noch zusätzliche Bonuszahlungen, darunter

  • Leistungsbonus
  • Unterschriftenbonus
  • Umzugsbonus

die in den Entscheidungsprozess für die passende Kanzlei mit einfließen können.

O&W Inside für junge Anwälte

Um aber einen wirklich realistischen Eindruck von den vermeintlich „nebensächlichen“ Faktoren wie dem Arbeitsumfeld zu bekommen, kann ein erster unverbindlicher telefonischer Kontakt oder eine Anfrage per E-Mail durchaus weiterhelfen.

Dank Corona sind viele Kanzleien in der Hinsicht auch flexibler geworden und dazu übergegangen, Zoom & Co. für eine erste, lockere Kontaktaufnahme per Videocall zu nutzen.

Wir von O&W Rechtsanwälte bieten Bewerbern und Interessierten das Format „O&W Inside“ an.

Über O&W Inside kannst Du ein Gespräch mit einem unserer Mitarbeiter oder Anwälte buchen, die Dir gerne Näheres über unsere Arbeit und Arbeitsatmosphäre bei uns erzählen, ohne dass es direkt in einem ernsten Bewerbungsgespräch mündet. 

So lässt es sich unserer Meinung nach viel eher rausfinden, ob der Arbeitsplatz und das Arbeitsumfeld zu einem persönlich passt.

Du willst wissen, wie wir bei O&W wirklich ticken?

Bei O&W Inside erfährst Du aus erster Hand von einem unserer Teammitglieder, wie es ist, bei uns zu arbeiten. Buche Dir jetzt einfach einen Termin für ein kurzes erstes Kennenlernen.

Von Anwalt zu Anwalt: Wie hast Du deine Kanzlei gefunden?

Moritz Brandenburger, Anwalt für Zollrecht und seit 2020 bei O&W, waren bei der Auswahl der richtigen Kanzlei nach eigener Aussage folgende 4 Kriterien wichtig.

Die inhaltliche Ebene

„Wichtig war mir, dass ich mich für die Schwerpunkte und Mandate, in denen die Kanzlei berät, interessiere.“

Die Work-Life-Balance

„Die Kanzlei sollte auch menschlich ausstrahlen, dass man als eigene Persönlichkeit wahrgenommen und die eigene Arbeit wertgeschätzt wird, sodass man nicht nur als Zuarbeiter und Werkzeug fungiert.“

Das On-Boarding

„Wichtig war mir, inwieweit die Kanzlei ein Gespür und auch Verständnis dafür hat, Berufsanfänger zu sein.

Ein große Rolle spielt hier also insoweit die Aussage der Kanzlei: „Wir suchen keinen, der schon alles weiß, sondern jemanden, der Lust hat mit uns zu lernen.“

Die Fehlerkultur in der Kanzlei

Überhaupt nicht selbstverständlich in der Jura-Welt ist eine offene Fehlerkultur. Wichtig ist daher, dass die Kanzlei den Eindruck macht und es auch in der Praxis lebt, dass man als junger Anwalt keine Angst davor haben muss, Fehler zu machen und diese auch einzugestehen.

Gerade wenn man viel Eigenverantwortung zugetraut und anvertraut bekommt, ist die Kombination aus Verantwortung und Fehlerkultur unabdingbar.“

Dieser Artikel wurde am 10. Januar 2022 erstellt. Er wurde am 30. September 2023 aktualisiert. Die fachliche Zweitprüfung hat Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner durchgeführt.

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  • Katharina Scharf ist Mitarbeiterin für unseren Karriereblog. Sie bloggt regelmäßig über Themen der juristischen Ausbildung, dem Studium, Examen und Referendariat. Sie kann hierzu aus erster Hand berichten, da sie sich selbst gerade in der Examensvorbereitung befindet und weiß, welche Themen zur juristischen Karriere relevant sind.