Das Thema Arbeitszeitgesetz und Großkanzlei ist viel diskutiert. Es ist weithin bekannt, dass die Arbeitszeiten in Großkanzleien nicht mit den Vorgaben des Gesetzgebers vereinbar sind.

Das Arbeitszeitgesetz setzt die Rahmenbedingungen für die Arbeitszeiten von Arbeitnehmern. Zweck dieser Regelungen sind die Sicherheit und der Gesundheitsschutz.

In vielen Großkanzleien gibt es allerdings kein System, was hinter einer Zeiterfassung steht, welches für die Einhaltung dieser Regelung essentiell wäre. Die Mitarbeiter rechnen nach billable hours ab. Die Pausenzeiten werden nicht erfasst. Und auf die vorgeschriebenen Ruhezeiten nimmt auch niemand Rücksicht. 

Gegen welche Regeln des Arbeitszeitgesetztes verstoßen Großkanzleien? 

Zwei Regelungen, gegen die in der Anwaltswelt besonders oft verstoßen wird, sind in § 3 und § 5 des Arbeitszeitgesetzes niedergeschrieben. Laut § 3 ArbZG darf eine werktägliche Arbeitszeit von durchschnittlich acht Stunden grundsätzlich nicht überschritten werden. 

Genau das ist aber – vor allem in Großkanzleien – eher die Regel als die Ausnahme. 

Zusätzlich ist in § 5 ArbZG festgesetzt, dass Arbeitnehmer mindestens elf Stunden durchgehende Ruhezeit zwischen den Arbeitszeiten haben müssen. Auch das ist in Großkanzleien meistens nicht der Fall. Wenn ein wichtiges Mandat zum Abschluss gebracht werden muss werden Überstunden bis spät in die Nacht gemacht, was keinesfalls heißt, dass am nächsten Tag erst später zur Arbeit erschienen werden dürfte. 

Gründe für die Unvereinbarkeit

  • Gerade weil die Arbeitszeiten in einer Großkanzlei bekanntermaßen weit entfernt von einer normalen 40-Stunden-Woche liegen, erwarten die Vorgesetzten in solchen Kanzleien auch den passenden Einsatz seitens der Mitarbeiter. 

    Ähnlich wie auch beim Thema Änderung des Studiengangs der Rechtswissenschaften – beziehungsweise der Examina – wird von der kommenden Generation mindestens genauso viel Engagement erwartet, wie von denjenigen, die jetzt das Sagen haben. 

    Da man Aufmerksamkeit von oben dementsprechend auch nur bekommt, wenn man die entsprechenden Stunden leistet, lassen sich diese Arbeitszeiten also auch nicht wirklich eigenverantwortlich vermeiden. 

  • Auch die Erwartungshaltung der Mandanten ist – wiederum auch durch den Ruf – in Großkanzleien hoch. Es herrscht wenig Verständnis dafür, wenn der Ansprechpartner bei wichtigen Sachen nicht zu erreichen ist.

    Gerade die großen und wichtigen Mandanten erwarten schnelle und präzise Ergebnisse. Im internationalen Bereich kommen noch andere Zeitzonen dazu, was auch die Zeiträume der Arbeit mit dem Arbeitszeitgesetz unvereinbar macht. 

    In stressigen Situationen ist es dann eben so, dass zwischen Arbeitsende und Arbeitsanfang am nächsten Tag nur acht Stunden liegen, wenn der Arbeitstag nicht sogar bis in die frühen Morgenstunden geht. Es gilt die Probleme von großen Mandanten so schnell es geht zu lösen. Von den Anwälten wird in diesen Zeiten der gleiche Einsatz verlangt, den auch die Mandanten an den Tag legen. 

  • Dazu kommt der Druck, der automatisch entsteht, weil der Wettbewerb unter den Anwälten einer Großkanzlei enorm hoch ist. Eben weil sich der Einsatz oft an den Stunden bemisst, vergleichen sich gerade motivierte Junganwälte vorzugsweise ebenfalls hierüber. 

    Es gibt immer irgendwo noch jemanden, der mehr und härter arbeitet. Genau diese Tatsachen führen dazu, dass die Arbeitszeiten in Großkanzleien so lange und zu allen möglichen Uhrzeiten sind. 

    Ohne entsprechend feste Regelungen wird sich aus den genannten Gründen an den daraus resultierenden Verletzungen des Arbeitszeitgesetzes so schnell nichts ändern. 

Warum für Anwälte keine Ausnahme gemacht wird

Das Arbeitszeitgesetz ist von einer Richtlinie (RL 2003/88/EG) des Europäischen Parlaments und Rates abgeleitet. Gem. Art. 17 dieser Arbeitszeitrichtlinie kann man von den Regelungen Ausnahmen machen, wenn dies unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer passiert. Das gilt unter anderem für Beschäftigungsgruppen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis.

Diesen Weg gehen einige Mitgliedsstaaten der EU. Sie beschreiben Anwälte als Beschäftigungsgruppe mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis. Mit der Begründung, dass Anwälte durch ihr Einkommen und ihre Position in der Lage seinen selbstverantwortlich ihre Arbeitszeiten einzuteilen. 

In Deutschland ist das allerdings nicht möglich. Dem wird immer wieder entgegengehalten, dass Anwälte trotz einem überdurchschnittlichen Gehalt schutzwürdig seien. Es sei nicht einkommensabhängig, ob Arbeitnehmer in der Lage sind, ausreichend auf die eigene Gesundheit zu achten. 

Folgen der neueren Rechtsprechung

Das Bundesarbeitsgericht entschied am 13.09.2022, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, ein System zur Verfügung zu stellen, mit dem die jeweiligen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten genau erfassen können. 

Gerade in größeren Wirtschaftskanzleien, in denen es gang und gäbe ist, dass vor allem die billable hours eine Rolle spielen, dabei aber die tatsächlichen Arbeitszeiten vernachlässigt werden, könnte das aber zu einem großen Problem führen. Ein System zu finden sollte grundsätzlich nicht das größte Problem sein. Allerdings sind die vorgegebenen Arbeitszeiten in den meisten Großkanzleien nicht ohne große Einschläge umsetzbar.

Prinzipiell ergeben sich dadurch allerdings noch keine direkten Folgen für diese Branche, denn grundsätzlich sollte ein solches System ja sowieso schon existieren.

Allerdings könnte sich daraus nun ergeben, dass die Kontrollen seitens der Gewerbeaufsicht engmaschiger werden. Zusätzlich droht eine eventuelle Beweislastumkehr, wodurch bei nicht ausreichender Überwachung die Kanzleien in Erklärungsnot kommen könnten. 

Was bedeutet das für die Arbeitnehmer?

Trotz der neuen Rechtssprechung ist nicht wirklich absehbar, dass sich in nächster Zeit an den Arbeitszeiten in Großkanzleien etwas ändert. Auch wenn es gegen jegliche gesetzliche Vorgaben verstößt. Das Gehalt ist so hoch, dass die Vorgaben dadurch faktisch außer Kraft gesetzt werden.

Entscheidet man sich dazu das alles in Kauf zu nehmen und in eine Großkanzlei zu gehen, sollte man im Laufe der Zeit zumindest einmal nachvollziehen, was bei den Arbeitszeiten eigentlich als Stundenlohn herauskommt. Auch wenn die Gehälter verlockend sind, sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Selbst wenn es in mittelständischen oder Boutique-Kanzleien nicht so viel Geld gibt, nimmt sich der Stundenlohn der tatsächlich gearbeiteten Stunden oft nicht unbedingt viel.

Ob man sich auf Dauer einer so hohen Belastung aussetzen möchte, sollte vorher gut überlegt und abgewogen werden.

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Dieser Artikel wurde am 15. Dezember 2022 erstellt. Er wurde am 30. September 2023 aktualisiert. Die fachliche Zweitprüfung hat Rechtsanwalt Dr. Tristan Wegner durchgeführt.

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